Hochzeit des Lichts (German Edition)
bemerkt wird. Sich mit Erhabenem auseinandersetzen! Seht vielmehr: Santa-Cruz aus dem Felsen ziseliert, die Berge, das flache Meer, der heftige Wind und die Sonne, die großen Kräne des Hafens, die Züge, die Hangars, die Quais und gigantischen Auffahrten zur Stadt, und in der Stadt selber diese Spiele und diese Langeweile, dieser Tumult und diese Einsamkeit. Vielleicht ist dies alles nicht erhaben. Doch der große Preis dieser übervölkerten Inseln liegt darin, dass das Herz sich entblößt. Die Stille ist nur mehr möglich in den lärmigen Städten. Aus Amsterdam schrieb Descartes dem alternden Balzac: »Ich spaziere täglich inmitten der Wirrnisse eines großen Volkes mit ebenso viel Freiheit und Ruhe, als Sie auf Ihren Alleen finden.«
In Erinnerung vermutlich an diese guten Worte hat sich eine Gesellschaft für Vorträge und Diskussion in Oran organisiert unter dem Namen »Cogito-Club«.
Die Wüste in Oran
Gezwungen, mit einer der wundervollsten Landschaften vor Augen zu leben, haben die Bewohner von Oran diese furchterregende Heimsuchung gemeistert, indem sie sich mit hässlichen Bauten umgaben. Man erwartet eine Stadt, die gegen das Meer hin offen ist, gebadet und erfrischt vom Abendwind. Und man findet eine Stadt, die, mit Ausnahme des Quartier Espagnol und des neuen Boulevard Front-de-Mer, dem Meer den Rücken kehrt, die sich in sich selber windet wie die Spiralen einer Schnecke. Oran ist eine große gelbe Rundmauer, von einem harten Himmel überdacht. Anfänglich irrt man wie in einem Labyrinth, sucht das Meer wie das Zeichen Ariadnes. Doch man dreht sich im Kreise durch die falben und bedrückenden Straßen, und schließlich werden die Bewohner Orans vom Minotaurus verschlungen: der Langeweile. Schon längst irren sie nicht mehr. Sie haben darin eingewilligt, verschlungen zu werden.
Man kann nicht wissen, was Steine bedeuten, bevor man in Oran war. In dieser staubigsten aller Städte ist der Stein Herrscher. Er wird so geliebt, dass ihn die Verkäufer in den Schaufenstern und Auslagen ausstellen, sei es, um Papierblätter zu beschweren, sei es nur zum Schein. Man häuft Steine an den Straßenrändern auf, wahrscheinlich als Augenweide, da diese Haufen nach einem Jahr noch genauso daliegen. Die Poesie, die andernorts durch die Vegetation entsteht, erhält hier ein versteinertes Antlitz. Sorgfältig wurden die etwa hundert Bäume, die man in dieser Handelsstadt findet, mit Staub bedeckt. Es sind versteinerte Pflanzen, und von ihren Ästen fällt ein herber Staubgeruch. In Algier haben die arabischen Friedhöfe die Sanftheit, die man kennt. In Oran, oberhalb der Schlucht Rasel-Ain, und diesmal dem Meer zugewandt, sind es gegen den blauen Himmel aufgeworfene steinige Felder, kreidig und locker verwittert, auf denen die Sonne blendende Feuersbrünste entzündet. Inmitten dieser Gebeine der Erde belebt da und dort eine purpurrote Geranie die Landschaft mit ihrem frischen Blut. Die ganze Stadt ist zu Gestein erstarrt. Von den Planteurs aus gesehen ist die Breite des Gestades, das Oran einengt, so groß, dass die Landschaft vor lauter Mineral unwirklich wird. Der Mensch ist daraus verbannt. So viel wuchtige Schönheit scheint aus einer andern Welt zu kommen.
Ist die Wüste ein Ort ohne Seele, wo der Himmel einziger König ist, dann erwartet Oran seine Propheten. Rings um die Stadt und darüber ist die ganze brutale Natur Afrikas überladen mit ihrem glühenden Zauber. Sie zersprengt die unglückliche Dekoration, mit der man sie bedeckt, sie stößt ihre heftigen Schreie aus, neben jedem Haus und über alle Dächer. Steigt man auf einer der Straßen auf die Bergflanke von Santa-Cruz, so werden zuerst die verstreuten und bemalten Würfel von Oran sichtbar. Ein wenig höher, und schon ducken sich die ausgefransten Felsriffe, welche die Hochebene umringen, ins Meer wie rote Tiere. Noch höher, und große Wirbel aus Sonnenlicht und Wind überfluten, durchwehen und verwirren die lockere Stadt, die wahllos über die Felsen verstreut daliegt. Hier bekämpfen sich die herrliche Anarchie des Menschen und die beständige Dauer des immer gleichen Meeres. Und daraus hervor steigt über die Hügelwellen ein überwältigender Geruch nach Leben.
Die Wüste ist unversöhnlich. Durch den stahlblauen Himmel von Oran und die von Staub übertünchten Straßen und Bäume wird jenes dichte Universum geschaffen, wo Herz und Geist niemals von sich selbst noch von dem einzig Wichtigen, dem Menschen, abgelenkt werden. Ich spreche
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