Hochzeit des Lichts (German Edition)
und tiefe Apathie zu überwinden, die einen in diesem Land überkommen, wenn man zu wählen hat zwischen zwei Filmen, zwei Berufen und oft auch zwei Frauen. Man entscheidet sich nur gezwungenermaßen. Und die Werbung weiß das. Sie wird amerikanische Ausmaße annehmen, aus den gleichen peinlichen Gründen wie dort.
In den Straßen von Oran werden wir endlich über die zwei Hauptvergnügen der hiesigen Jugend aufgeklärt: sich die Schuhe wichsen zu lassen und in diesen Schuhen über den Boulevard zu spazieren. Um einen richtigen Begriff vom ersten dieser Genüsse zu bekommen, vertraue man an einem Sonntagmorgen um zehn Uhr seine Schuhe den Schuhputzern des Boulevard Gallieni an. Auf einem der hohen Sessel thronend, wird man jene besondere Genugtuung genießen, die auch einen Laien beim Anblick von Menschen befällt, die in ihren Beruf so verliebt sind wie die Schuhwichser von Oran. Alles ist bis ins Detail ausgearbeitet. Mehrere Bürsten, drei verschiedene Sorten von Lappen, die mit Benzin kombinierte Schuhwichse: Man glaubt den Vorgang beendet, wenn man den vollendeten Glanz bestaunt, der unter der weichen Bürste entsteht. Doch die gleiche hartnäckige Hand wichst die glänzende Fläche nochmals ein, reibt sie, nimmt ihr den Glanz, massiert die Creme bis ins Innerste des Leders und bringt es dann unter der gleichen Bürste zu doppeltem und von der Tiefe her endgültig erstrahlendem Glanz. Das so entstandene Wunderwerk wird dann den Kennern vorgeführt. Um diese Freuden des Boulevards schätzen zu lernen, ist es unumgänglich, an einem der maskierten Bälle der Jugend teilzunehmen, die jeden Abend in den großen Verkehrsadern Orans stattfinden. Die bessere Jugend Orans – zwischen sechzehn und zwanzig – kleidet sich dann vor dem Essen wie ihre eleganten Ideale aus dem amerikanischen Film. Gewellte und pomadisierte Haare, einem Filzhut entquellend, der zum linken Ohr geneigt und über dem rechten Auge geknickt ist, den Hals in einen an die Stelle der Haare tretenden Kragen gezwängt, den mikroskopisch kleinen Krawattenknoten von einer Nadel gehalten, das Sakko bis zur Mitte der Oberschenkel reichend und die Taille nah den Hüften, die Hosen hell und kurz, blitzende Schuhe auf dreifacher Sohle – so lässt diese Jugend jeden Abend ihr unerschütterliches Auftreten mit eisenbeschlagener Sohlenspitze aufklingen. Sie bemüht sich vor allem, die Allüren, die Gewandtheit und die Überlegenheit Mister Clark Gables nachzuahmen. Aus diesem Grunde haben kritische Zungen in der Stadt, ganz allgemein und unbekümmert um die Aussprache, diese jungen Männer die »Clarques« genannt. Jedenfalls sind die großen Boulevards von Oran gegen Abend voll von einer Armee sympathischer Jünglinge, die sich größte Mühe geben, wie schlechte Subjekte auszusehen. Weil seit je die jungen Oranerinnen sich als die künftigen Bräute dieser Gangster mit weichen Herzen betrachten, tragen sie ebenfalls das Make-up und die Eleganz der großen amerikanischen Schauspielerinnen. Die gleichen schlechten Zungen nennen sie daher die »Marines«. Wenn auf den abendlichen Boulevards das Zwitschern der Vögel aus den Palmen steigt, treffen sich Dutzende von Clarques und Marines, messen sich mit Blicken und schätzen sich ab, glücklich, zu leben und zu scheinen, für eine Stunde dem Taumel vollkommener Existenzen hingegeben. Dies seien, behaupten Neider, Treffen der amerikanischen Clique. Doch spürt man bei diesen Worten die Bitterkeit der über Dreißigjährigen, die nicht mehr an diesem Spiel teilhaben. Sie verkennen diese täglichen Zusammenkünfte der Jugend und des Überspannten. Es sind in Wahrheit die Parlamente der Vögel, die man in der indischen Literatur trifft. Doch wälzt man auf den Boulevards von Oran nicht die Frage des Seins und kümmert sich nicht um den Weg zur Vollkommenheit. Es bleibt lediglich beim Flattern von Flügeln, Pfauenrädern, koketten und siegesgewohnten Gunstbezeugungen, diesem vollen Glanz eines unbekümmerten Gesangs, der mit Einbruch der Nacht verschwindet.
Ich höre schon Klestakoff: »Man wird sich mit Erhabenem beschäftigen müssen.« Ach! Er wäre es imstande. Man gebe ihm den Impuls, und er wird diese Wüste in wenigen Jahren bevölkern. Doch im Augenblick muss sich eine eher geheimnisvolle Seele in dieser leichten Stadt befreien, in dieser Stadt mit ihrem Aufzug von geschminkten jungen Mädchen, die dennoch unfähig sind zu erregen, da sie die Koketterie so schlecht simulieren, dass der Trug sogleich
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