Hochzeit des Lichts (German Edition)
dem Oraner zubrüllt: »Anda! Hombre!« Der Hombre und der Blaukragen »gehen ran« und mit ihnen, in diesem Tempel aus Kalk, Wellblech und Zement, der ganze Saal, der völlig diesen schmalstirnigen Göttern ausgeliefert ist. Jeder matt klingende Schlag auf den glänzenden Brustkasten erdröhnt in enormen Schwingungen im Körper der Masse selbst, die zugleich mit den Boxern ihre letzten Kräfte anspannt.
In dieser Atmosphäre wird das unentschiedene Match schlecht aufgenommen. Es widerspricht einer wahrhaft manichäischen Empfindlichkeit des Publikums. Es gibt Gut und Böse, Sieger und Besiegte. Man hat recht oder unrecht. Den Schluss aus dieser bestechenden Logik ziehen sofort die zweitausend energischen Lungen, die die Schiedsrichter der Käuflichkeit bezichtigen. Doch der Blaukragen hat seinen Gegner im Ring umarmt und labt sich am brüderlichen Schweiß. Das genügt, um den Saal augenblicklich umzustimmen und applaudieren zu lassen. Mein Nachbar hat recht: Es sind keine Wilden.
Die Menge, die sich unter einem Himmel der Stille und Sterne zerstreut, hat den erschöpfendsten der Kämpfe geliefert. Sie schweigt, verschwindet hastig, ohne Kraft für die Diskussion der Ergebnisse. Es gibt Gut und Böse, diese Religion ist unerbittlich. Die Schar der Getreuen ist nur noch eine Ansammlung von schwarzen und weißen Schatten, die in der Nacht untertaucht. Die Kraft und die Gewalt sind eben einsame Gottheiten. Sie bieten der Erinnerung nichts. Im Gegenteil, sie teilen ihre Wundergaben mit vollen Händen der Gegenwart aus. Sie sind diesem Volk ohne Vergangenheit ebenbürtig, das sein Seelenbündnis um den Ring zelebriert. Es sind etwas komplizierte Riten, die jedoch alles vereinfachen. Das Gute und das Böse, der Sieger und der Besiegte: In Korinth standen zwei Tempel benachbart, der Tempel der Gewalt und derjenige der Not.
Die Monumente
Aus ökonomischen wie auch metaphysischen Gründen scheint sich der Stil von Oran, wenn es überhaupt einen gibt, am kraftvollsten und klarsten in einem merkwürdigen Gebäude, Haus des Kolonisten genannt, auszudrücken. Oran hat keineswegs Mangel an Monumenten. Die Stadt besitzt ihre große Zahl von Marschällen, Ministern und lokalen Wohltätern. Man begegnet ihnen auf kleinen staubigen Plätzen, dem Regen und der Sonne ausgesetzt, auch sie zu Stein und Langeweile bekehrt. Doch stellen sie nur Beiträge von außen dar. Sie bilden in dieser seligen Kulturlosigkeit die beklagenswerten Zeichen der Zivilisation.
Oran hat sich im Gegenteil seine eigenen Altäre und Rednerbühnen errichtet. Gezwungen, im Herzen der Handelsstadt ein gemeinsames Gebäude für die unzähligen landwirtschaftlichen Organisationen, von denen das Land lebt, zu errichten, beschlossen die Bürger von Oran, aus Sand und Kalk ein Haus zu bauen, ein überzeugendes Abbild ihrer Fähigkeiten: la Maison du Colon. Beurteilt man diese Fähigkeiten nach dem Gebäude, so findet man deren drei: die Kühnheit im Geschmack, die Liebe zur Gewalttätigkeit und den Sinn für historische Synthesen. Ägypten, Byzanz und München trugen zu diesem heiklen Zuckerbäckerbau bei, der eine große umgestülpte Schale darstellt. Vielfarbige, sehr wirkungsstarke Steine umrahmen das Dach. Die Lebhaftigkeit dieser Mosaike ist so überwältigend, dass man zunächst nichts als ein formloses Flimmern wahrnimmt. Aus der Nähe jedoch und mit Aufmerksamkeit betrachtet, sieht man seine Gliederung: Ein eleganter Kolonist mit Schmetterlingskrawatte und weißem Tropenhelm empfängt die Huldigungen einer Schar von Sklaven, die in antike Gewänder gekleidet sind. (Eine weitere Qualität der algerischen Rasse ist, wie man sieht, die Ehrlichkeit.) Dieses bildgeschmückte Gebäude wurde zudem im Mittelpunkt einer Kreuzung errichtet, im Pendelverkehr der kleinen Straßenbahnen, deren Schmutz einen der Reize dieser Stadt bildet.
Außerdem hält Oran sehr viel von seinen zwei Löwen auf dem Place d’Armes. Seit 1888 thronen sie zu beiden Seiten der Rathaustreppe. Ihr Schöpfer nannte sich Caïn. Sie haben Würde trotz ihres gedrungenen Leibes. Man erzählt, dass sie nachts von ihren Sockeln steigen, schweigend um den dunklen Platz kreisen und gelegentlich ausführlich unter den großen staubbedeckten Feigenbäumen urinieren. Dies sind, wie gesagt, Gerüchte, und es scheint nicht wahrscheinlich.
Trotz meiner Nachforschungen konnte ich mich nicht für Caïn begeistern. Ich erfuhr einzig, dass er im Ruf eines geschickten Tierbildners steht. Ich denke oft an
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