Hochzeit des Lichts (German Edition)
hier von einer mühsamen Abgeschiedenheit. Über Florenz oder Athen werden Bücher geschrieben. Diese Städte haben so viele europäische Geister geformt, dass sie zwangsläufig eine Bedeutung haben müssen. Sie tragen die Fähigkeit in sich, zu rühren oder zu begeistern. Sie stillen jenen Hunger der Seele, deren Nahrung die Erinnerungen sind. Aber wie soll man sich von einer Stadt rühren lassen, in der nichts den Geist anregt, wo selbst die Hässlichkeit anonym bleibt, wo die Vergangenheit ins Nichts zerfällt? Leere, Langeweile, ein gefühllos gleichgültiger Himmel, ist das die Magie dieses Ortes? Ohne Zweifel ist es die Einsamkeit und vielleicht das Lebende. Für eine bestimmte Art von Menschen ist alles Lebende, wo immer es schön ist, eine bittere Heimat. Oran ist eine seiner tausend Hauptstädte.
Die Spiele
Der Central Sporting Club, Foudoukstraße in Oran, gibt einen Boxabend, der von den wahren Kennern sehr geschätzt werden soll. In reinem Stil, das heißt, dass die angekündigten Kämpfer keineswegs große Stars sind, dass einige vielmehr zum ersten Mal in den Ring steigen und dass man folglich zwar weniger auf das Wissen als auf das Herz der Gegner zählen kann. Da ein Oraner mich mit der Bemerkung »es wird Blut fließen« entflammt hat, befinde ich mich heute Abend unter den »wahren Kennern«.
Offensichtlich verlangen diese niemals Komfort. Man hat den Ring im Hintergrund einer Art weiß getünchter Garage mit Wellblechdach und greller Beleuchtung aufgestellt. Klappsessel sind im Viereck um die Seile aufgebaut. Das sind die Ehrenplätze. In der Länge des Saales wurde ebenfalls gestuhlt, und am Ende des Saales öffnet sich ein weiter, offener Raum, man könnte sagen, eine Wandelhalle, denn keiner der fünfhundert Anwesenden könnte sein Taschentuch hervorholen, ohne ein großes Unglück heraufzubeschwören. In dieser rechteckigen Kiste atmen etwa tausend Männer und zwei oder drei Frauen – solche, wie mein Nachbar meint, die sich immer bemerkbar machen wollen. Alle schwitzen heftig. In Erwartung der Debütantenkämpfer leiert ein riesiger Lautsprecher Tino Rossi. Es ist die Romanze vor dem Mord.
Die Geduld eines »wahrhaftigen Kenners« ist ohne Grenzen. Die für 21 Uhr angekündigte Veranstaltung hat um 21 . 30 Uhr noch nicht begonnen, und niemand protestiert. Der Frühling ist heiß, der Geruch dieser hemdsärmeligen Menschen penetrant. Es wird heftig diskutiert beim Knallen von sich öffnenden Limonadeflaschen und dem unaufhörlichen Lamento des korsischen Sängers. Neuankömmlinge werden noch unter die Zuschauer gepfercht, als die Scheinwerfer blendendes Licht auf den Ring werfen. Die Debütantenkämpfe beginnen.
Die Anfänger, die zum Vergnügen kämpfen, wollen dies immer zeigen, indem sie sich unbedingt unter Verachtung jeglicher Technik massakrieren müssen. Sie halten nie länger als drei Runden durch. So ist der Held des Abends der junge »Kid Avion«, der für gewöhnlich auf den Caféterrassen Lotterielose verkauft. Und wirklich ist sein Gegner zu Beginn der zweiten Runde unter dem Faustschlag, der wie ein Propeller heranschwirrte, Kopf voran aus dem Ring geflogen.
Die Menge belebt sich, aber noch ist es Höflichkeit. Sie atmet ernst den geheiligten Geruch der feuchten Handtücher. Sie betrachtet diese Folge von langsamen Riten und ungeregelten Opferungen. Diese Wirkung verstärken noch die Sühnezeichnungen an der weißen Wand, die durch die Schatten der Kämpfenden entstehen. Es ist der feierliche Einstieg in einen wilden und zugleich kalkulierten Mythos. Die Trance kommt erst später.
Soeben kündigt der Lautsprecher Amar an, »den zähen Oraner, der die Waffen noch nie gestreckt hat«, gegen Perez, »den Boxer aus Algier«. Ein Laie würde das Gebrüll, mit dem die Boxer im Ring empfangen werden, falsch auslegen. Er würde vermuten, dass da irgendein sensationeller Kampf stattfindet, bei dem die Boxer einen persönlichen Streit auszufechten haben, der dem Publikum bekannt ist. Wirklich, sie haben einen Streit auszutragen. Aber es handelt sich um jenen tödlichen Streit, der seit hundert Jahren zwischen Oran und Algier besteht. Einige Jahrhunderte früher hätten sich diese beiden nordafrikanischen Städte zu Tode geblutet, wie Pisa und Florenz in glücklicheren Zeiten. Die Rivalität ist umso heftiger, als sie vermutlich keinen Grund hat. Da diese zwei Städte alle Ursache hätten, sich zu lieben, hassen sie sich umso mehr. Die Oraner beschuldigen die Leute aus Algier,
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