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Hochzeit des Lichts (German Edition)

Hochzeit des Lichts (German Edition)

Titel: Hochzeit des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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zuweilen begehrt und sucht, sind Orte, frei von Poesie. Descartes wählte sich für die Meditation seine eigene Wüste: die geschäftigste Handelsstadt seiner Zeit. Dort findet er seine Einsamkeit und die Möglichkeit zur vielleicht größten unserer männlichen Dichtungen: »Der erste Grundsatz war, nie eine Sache für wahr anzunehmen, bevor ich sie offensichtlich als solche erkannt hatte.« Man kann weniger Ehrgeiz und ebenso große Sehnsucht haben. Doch hat sich Amsterdam seit drei Jahrhunderten mit Museen bedeckt. Um der Poesie zu entfliehen und den Frieden der Steine zu finden, braucht es andere Wüsten, andere Stätten ohne Seele und Zuflucht. Ein solcher Ort ist Oran.
    Die Straße
    Ich hörte oft die Oraner sich über ihre Stadt beklagen. »Es gibt keine interessanten Kreise.« Fürwahr! Ihr wünschtet es ja nicht! Einige gute Leute versuchten, die Gepflogenheiten einer andern Welt in diese Wüste zu verpflanzen, nach dem Grundsatz, dass man der Kunst und den Ideen nicht gut dienen kann, wenn man sich nicht zusammentut. Man begegnet in Oran jenem Klestakoff von Gogol. Er gähnt und sagt: »Ich fühle es, ich werde mich mit etwas Erhabenem beschäftigen müssen.«
    Daraus ergibt sich, dass einzig jene Kreise anregend sind, zu denen die Pokerspieler, die Boxsportanhänger, die Boulomanen und die regionalen Vereine zählen. Hier wenigstens geht es natürlich zu. Es gibt schließlich eine gewisse Größe, die nicht nach Erhabenheit strebt. Ihr Zustand ist unfruchtbar. Und wer diese Größe sucht, verlässt die besseren Kreise und begibt sich auf die Straße.
    Die Straßen Orans sind dem Staub geweiht, den Steinen und der Hitze. Regen erzeugt eine wahre Sintflut und ein Meer von Schlamm. Doch bei Regen oder Sonne haben Auslagen und Läden das gleiche extravagante und absurde Aussehen. Der ganze schlechte Geschmack Europas und des Orients treffen hier zusammen. Man findet kunterbunt durcheinander Windhunde aus Marmor, Tänzerinnen mit Schwan, Dianen aus grünem Galalith, Diskuswerfer und Schnitter, alles, was als Geburtstags- oder Hochzeitsgeschenk gebraucht wird, dieser ganze Kitsch, der unaufhörlich von einem handelstüchtigen und zugleich spöttischen Geist auf unsre Kaminsimse gestellt wird. Aber diese Betriebsamkeit nimmt hier ein derartig barockes Ausmaß an, dass man alles verzeiht. Hier auf einem Teppich von Staub der Inhalt eines Schaufensters: scheußliche Gipsmodelle von verkrüppelten Füßen, ein Stoß Rembrandt-Zeichnungen »zum Spottpreis von 150  Francs das Stück«, Scherzartikel, Brieftaschen mit der Trikolore, eine Pastellskizze aus dem 18 . Jahrhundert, ein mechanischer Plüschesel, Flaschen mit Eau de Provence zur Konservierung von grünen Oliven und eine würdelose hölzerne Muttergottes mit einem unanständigen Lächeln. (Um keinen Irrtum aufkommen zu lassen, hat die »Direktion« zu ihren Füßen eine Aufschrift platziert: »Muttergottes in Holz«.)
     
    In Oran findet man:
    Cafés, deren Theken vor Fett und Schmutz glänzen, übersät mit Fliegenbeinen und Insekten-flügeln, mit einem Patron, der trotz des stets leeren Saals immer lächelt. Der »petit noir« kostet zwölf Sous und der große achtzehn.
Fotogeschäfte, wo die Technik seit der Erfindung des lichtempfindlichen Papiers keinen Fortschritt gemacht hat. Eine seltsame Fauna wird ausgestellt, die man auf der Straße nicht findet, vom Pseudomatrosen, der sich mit dem Ellbogen auf eine Konsole stützt, bis zum jungen Mädchen im heiratsfähigen Alter, mit geschnürter Taille, hängenden Armen, vor waldigem Hintergrund. Vermutlich sind es keine Porträts nach Natur, sondern »Créations«.
Eine vielsagende Menge von Begräbnisinstituten. Nicht, dass man gerade in Oran mehr stirbt als anderswo, aber man macht vermutlich mehr Aufhebens davon.
    Die sympathische Naivität dieses Handelsvolkes erstreckt sich auch auf die Werbung. Ich lese auf einer Kinoreklame in Oran die Ankündigung eines drittrangigen Filmes und finde die Adjektive »prunkvoll«, »blendend«, »außerordentlich«, »phänomenal«, »erschütternd«, »maximal«. Zum Schluss klärt die Direktion ihr Publikum darüber auf, welche erheblichen Opfer sie hat bringen müssen, um diesen erstaunlichen Film vorführen zu können, ohne die Preise zu erhöhen.
    Es wäre unrecht anzunehmen, dass sich hier einzig die südliche Freude an Übertreibungen manifestiert. Eben dieselben Verfasser dieses herrlichen Prospektes beweisen ihren psychologischen Sinn. Es gilt, die Indifferenz

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