Hochzeit des Lichts (German Edition)
die brüderlich-geheime Verbundenheit mit der Erde und der Hunger, der mich nach den Goldfrüchten über mir greifen ließ – ich empfand das schwanke Gleichgewicht dieser Dinge, das gewisse Menschen von der Askese zum Genuss und von der Entsagung zur hemmungslosen Wollust treibt. Ich bewunderte und bewundere auch heute dieses Bündnis von Mensch und Erde, diese doppelte Wechselwirkung, in die mein Herz eingreifen und sein Glück diktieren darf bis zu jener genau bestimmten Grenze, wo die Erde es vollenden oder zerstören kann. Florenz! Einer der wenigen Orte in Europa, wo ich begriff, dass im innersten Kern meiner Auflehnung ein Einverständnis schlief. Unter seinem aus Tränen und Sonne gemischten Himmel lernte ich, Ja zur Erde zu sagen und in der düstern Flamme ihrer Lebensfeier zu verbrennen. Ich ertrug … aber was? Welches Wort? Welches Übermaß? Ich ertrug die Erde! In diesem großen Tempel, aus dem die Götter geflohen sind, haben all meine Idole tönerne Füße.
Heimkehr nach Tipasa
Doch du, du bist
zum klaren Tag geboren …
Hölderlin
Dieser Essay [3] entstand im Jahre 1939 . Daran möge sich der Leser erinnern, um zu beurteilen, was Oran heute sein könnte. Leidenschaftliche Proteste, die mich aus dieser schönen Stadt erreichten, versichern allerdings, dass allen Unvollkommenheiten abgeholfen wurde – oder werden soll. Die Schönheiten hingegen, die dieser Essay rühmt, wurden eifersüchtig bewahrt. Glückliche und realistische Stadt, braucht Oran keine Schriftsteller mehr: Sie erwartet die Touristen.
Minotaurus
für Pierre Galindo
Es gibt keine Wüsten mehr. Es gibt keine Inseln mehr. Das Bedürfnis danach ist jedoch spürbar. Will man die Welt verstehen, muss man sich manchmal von ihr abwenden; um den Menschen besser zu dienen, muss man sie zeitweise fernhalten. Doch wo findet man die Einsamkeit, so notwendig für die Kraft, wo den tiefen Atem, in dem der Geist sich sammelt und der Mut sich messen kann? Es gibt die großen Städte. Nur braucht es da noch Bedingungen.
Die Städte, die Europa uns darbietet, sind übervoll vom Aufruhr der Vergangenheit. Feinhörige können das Schwirren von Flügeln, das Beben von Seelen vernehmen. Man spürt den Taumel der Jahrhunderte, der Revolutionen, des Ruhmes. Man wird daran erinnert, dass das Abendland unter Getöse geschmiedet wurde. Das gibt nicht genügend Stille.
Paris ist für das Herz oft eine Wüste, doch weht zu manchen Stunden vom Père-Lachaise her ein Revolutionswind, der diese Wüste plötzlich mit Fahnen und besiegtem Adel erfüllt. So sind manche spanischen Städte, so Florenz und Prag. Salzburg wäre friedlich ohne Mozart. Aber dann und wann eilt über die Salzach der hochmütig stolze Schrei Don Juans, der in die Hölle stürzt. Wien scheint schweigender, ist ein junges Mädchen unter den Städten. Die Steine dort sind nicht älter als drei Jahrhunderte, und ihre Jugend weiß nichts von Melancholie. Doch Wien liegt an einem Kreuzweg der Geschichte. Ringsumher erdröhnt der Aufprall der Kaiserreiche. An manchen Abenden, wenn der Himmel sich blutrot färbt, scheinen die steinernen Denkmalspferde am Ring emporzufliegen. In diesen flüchtigen Augenblicken, in denen alles Macht und Geschichte ist, hört man deutlich unter dem Ansturm der polnischen Schwadronen den dröhnenden Zusammenbruch des Osmanischen Reiches. Auch das gibt nicht genügend Stille.
Gewiss, es ist diese bevölkerte Einsamkeit, die man in den Städten Europas sucht. Jedenfalls jene Menschen, die wissen, was sie zu tun haben. Sie können sich dort ihre Gesellschaft auswählen, sie pflegen und wieder fallen lassen. Manche haben sich gestärkt auf diesem Gang von ihrem Hotelzimmer zu den alten Gemäuern der Ile Saint-Louis! Andere, es ist wahr, gingen an Vereinsamung zugrunde. Die Ersten jedenfalls fanden darin ihre Gründe, zu wachsen und sich zu bestätigen. Sie waren allein und waren es doch nicht. Jahrhunderte von Geschichte und Schönheit, glühende Zeugen von Tausenden von vergangenen Leben begleiteten sie die Seine entlang und erzählten gleichzeitig von Traditionen und Eroberungen. Ihre Jugend trieb sie, solche Gemeinschaft zu rufen. Es kommt eine Zeit, eine Epoche, wo dies lästig wird. »Es ist an uns zweien!«, rief Rastignac aus vor der ungeheuren Fäulnis der Stadt Paris. Zwei, ja, auch das ist noch zu viel!
Die Wüste selbst hat einen Sinn erlangt, man hat sie mit Poesie überladen. Allen Leiden der Welt wurde sie ein geweihter Ort. Was das Herz jedoch
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