Hochzeit des Lichts (German Edition)
sich so am Meer, tausend Einsamkeiten sprühen aus der Menge hervor. Dann beginnen die großen Nächte Afrikas, das königliche Exil, die hoffnungslose Erregung, die den einsamen Reisenden erwarten …
Nein, wirklich, geht nicht hin, wenn ihr ein laues Herz habt, wenn eure Seele ein armes Tier ist! Doch für jene, die die Zerrissenheit des Ja und des Nein kennen, des Mittags und der Mitternacht, des Aufruhrs und der Liebe, für jene endlich, die die Scheiterhaufen vor dem Meer lieben, brennt dort ein Feuer, das sie erwartet.
Helenas Exil
Das Mittelmeer hat seine sonnenhafte Tragik, die so ganz anders ist als das Tragische der Nebel. Über dem Meer, am Fuß der Gebirge, sinkt an manchen Abenden die Nacht auf den vollendeten Bogen einer kleinen Bucht, und alsdann entsteigt den stillen Wassern eine bange Fülle. Dort versteht man es: Wenn die Griechen von der Verzweiflung angerührt wurden, so war es immer durch die Schönheit und das Bedrückende in ihr. In diesem goldenen Unglück gipfelt die Tragödie. Unsere Zeit hingegen hat ihrer Hoffnungslosigkeit Nahrung gegeben in der Schändlichkeit und den Krisen. Deshalb wäre Europa würdelos, wenn der Schmerz jemals würdelos sein könnte.
Wir haben die Schönheit verbannt, die Griechen griffen für sie zu den Waffen. Ein erster, doch grundlegender Unterschied. Für das griechische Denken war stets die Begrenzungsidee vorherrschend. Es hat nichts auf die Spitze getrieben, weder das Heilige noch die Vernunft, weil es nie etwas verleugnete, weder das Heilige noch die Vernunft. Es hat alles einbezogen, den Schatten durch das Licht ins Gleichgewicht bringend. Unser Europa hingegen, das sich berufen fühlt, alles zu erobern, ist die Tochter der Unmäßigkeit. Es leugnet die Schönheit, wie es alles leugnet, was es nicht anbetet. Und es betet, sei es auch auf verschiedene Weise, ein Einziges an: den zukünftigen Sieg der Vernunft. In seinem Wahn versetzt es die ewigen Grenzen, und in diesem Augenblick stürzen sich düstere Erinnyen darauf und zerreißen es. Nemesis wacht, die Göttin des Maßes, nicht der Rache. Alle, die die Grenzen überschreiten, werden von ihr unerbittlich gestraft.
Die Griechen, die über Jahrhunderte die Frage des Rechtes aufgeworfen haben, würden nichts von unserer Vorstellung der Gerechtigkeit verstehen. Die Gleichheit bedingte für sie eine Grenze, während sich unser ganzer Kontinent auf der Suche nach einer Gerechtigkeit verkrampft, die er ohne Einschränkung will. Im Morgengrauen des griechischen Denkens verkündet schon Heraklit, dass die Gerechtigkeit selbst dem physischen Universum Grenzen setzt. »Die Sonne wird ihre Grenzen nicht überschreiten, denn die Erinnyen, Bewahrerinnen der Gerechtigkeit, würden es entdecken.« Wir, die wir das Universum und den Geist aus ihrer Bahn geworfen haben, lachen über diese Drohung. In einem trunkenen Himmel entzünden wir die Sonnen, die wir wollen. Aber das hindert nicht, dass die Grenzen bestehen und dass wir es wissen. In unserm äußersten Wahn träumen wir von einem Gleichgewicht, das wir hinter uns gelassen haben und das wir argloserweise am Ende unserer Irrtümer wiederzufinden glauben. Naive Vermutung, die auch rechtfertigt, dass unsere Nachkommen, Erben unseres Wahnsinns, unsere heutige Geschichte weiterführen.
Ein Fragment, das ebenfalls Heraklit zugeschrieben wird, sagt einfach: »Vermessenheit, Rückgang des Fortschritts«. Etwa ein Jahrhundert nach dem Epheser anerkennt Sokrates vor dem drohenden Todesurteil keine andere Überlegenheit als diese: Was ihm nicht bekannt war, glaubte er nicht zu wissen. Eines der bedeutendsten Leben und Denken dieser Jahrhunderte endet mit dem stolzen Geständnis des Nichtwissens. Indem wir dies vergaßen, vergaßen wir unsre Männlichkeit. Wir zogen die Macht vor, welche die Größe nachäfft, erst in Alexander, dann in den römischen Eroberern, die die Verfasser der Handbücher aus unvergleichlicher Niederträchtigkeit uns zu bewundern lehren. Auch wir haben erobert, Grenzen versetzt, Himmel und Erde bezwungen. Unser Verstand hat die Leere erzeugt. Endlich allein, vollenden wir unsre Herrschaft in einer Wüste. Welche Vorstellung hätten wir denn noch von jenem erhabenen Gleichgewicht, wo die Natur der Ausgleich zur Geschichte, zur Schönheit, zum Guten war und die Musik der Zahlen bis in die Tragödie unseres Blutes trug? Wir kehren der Natur den Rücken, wir schämen uns der Schönheit. Unsere kläglichen Tragödien ziehen den Geruch von Büros nach
Weitere Kostenlose Bücher