Hocking, A: Tochter der Tryll - Entzweit: Band 2
auf den Boden.
»F inn!« Thomas’ dröhnende Stimme unterbrach uns.
Finn hörte auf, mich zu küssen, blieb aber auf mir liegen. Er atmete keuchend und starrte mich immer noch an. Leidenschaft loderte in seinen Augen, aber hinter ihr sah ich Entsetzen. Ihm wurde klar, dass er etwas Furchtbares getan hatte und nicht wusste, wie er es ungeschehen machen sollte.
»F inn!«, brüllte Thomas wieder. »G eh von ihr runter, bevor euch jemand sieht!«
»J a, Sir.« Finn rappelte sich auf und stolperte dabei über ein paar Bücher. Ich zog mein Kleid zurecht und stand viel langsamer auf als er.
»V erschwinde!«, bellte Thomas Finn an. »U nd zieh dich wieder ordentlich an!«
»J a, Sir. Entschuldigung, Sir.« Finn schaute zu Boden. Er versuchte, mir einen Abschiedsblick zuzuwerfen, aber er schämte sich zu sehr und rannte einfach aus dem Zimmer.
»E s tut mir leid«, murmelte ich. Ich schmeckte Finn noch auf den Lippen und spürte seine Bartstoppeln an der Wange.
»I hr müsst Euch nicht bei mir entschuldigen«, sagte Thomas und sah mich viel freundlicher an, als er Finn angeschaut hatte. »I hr müsst Euch schützen, Prinzessin. Geht in Euer Zimmer, vergesst, was hier passiert ist, und betet, dass es niemand je herausfindet.«
»J a natürlich.« Ich nickte schnell und stieg vorsichtig über die Bücher. Ich war schon an der Tür, als Thomas mich noch einmal ansprach.
»M ein Sohn erzählt mir nicht viel von seinem Leben«, sagte Thomas, und ich blieb stehen und schaute zu ihm zurück. »W ir stehen uns nicht sehr nahe. Unser Job ist nicht leicht. Er isoliert uns, und das haben wir und Ihr gemeinsam.«
»I ch fühle mich nicht sehr isoliert«, sagte ich. »E her das Gegenteil.«
»I hr habt Glück gehabt, aber es wird nicht immer so bleiben.« Er befeuchtete sich die Lippen und sprach dann weiter. »M anchmal muss man sich zwischen Liebe und Pflicht entscheiden. Es ist die schwierigste Entscheidung, die man sich vorstellen kann, aber es gibt nur eine richtige Wahl.«
»U nd Ihrer Meinung nach ist das die Pflicht?«, fragte ich.
»M einer Meinung nach war die Pflicht die richtige Wahl für mich«, erklärte Thomas langsam. »U nd die Pflicht wird auch für Finn immer die richtige Wahl sein.«
»J a.« Ich nickte und senkte den Blick. »D as weiß ich nur zu gut.«
»T racker werden oft verachtet.« Er hob die Hand und gebot mir zu schweigen, bevor ich protestieren konnte. »N icht von allen, aber von vielen. Man hat Mitleid mit uns. Aber wir führen ein ehrenhaftes Leben im Dienst des Volkes. Unsere Arbeit trägt entscheidend dazu bei, die Zukunft des Königreichs zu sichern. Die Königin führt ihr Leben noch viel stärker im Dienst des Volkes als ein Tracker. Eure Mutter hat ihr ganzes Leben ihren Untertanen gewidmet, und es gibt keine größere Ehre als das. Keine ehrenhaftere Aufgabe. Das wird auch die Eure sein, Prinzessin.«
»I ch weiß«, sagte ich und fühlte mich total überfordert bei der Vorstellung.
»I rgendwann werdet Ihr herausfinden, dass man mehr gewinnt als verliert, wenn man ein solches Opfer bringt«, sagte er. »I ch habe dieses Gespräch genossen, Prinzessin, aber jetzt solltet Ihr in Euer Zimmer gehen.«
»J a natürlich«, sagte ich.
Thomas verbeugte sich vor mir und ich drehte mich um. Ich raffte mein Kleid zusammen, um nicht zu stolpern, und rannte den ganzen Weg in mein Zimmer. Mein Haar hatte sich gelöst und fiel mir ins Gesicht, und dafür war ich dankbar. Ich wollte nicht, dass jemand die Scham in meinem Gesicht oder die Tränen sah, die mir über die Wangen liefen.
28
Ehre und Pflicht
D u siehst toll aus«, versicherte Willa meinem Spiegelbild zum hundertsten Mal.
Ich stand vor dem Spiegel. Willa hinter mir. Es sah sicherlich so aus, als bewundere ich mein weißes Kleid, aber ehrlich gesagt erkannte ich mich kaum wieder.
In den Tagen vor meiner Verlobungsfeier hatte ich zwei Männer geküsst. Seltsamerweise dachte ich viel lieber an Lokis Kuss. Er war merkwürdig erfrischend gewesen und hatte neues Leben in meine Seele gehaucht, während Finns Kuss mir all meine Energie geraubt hatte. Loki hatte mir einen Heiratsantrag gemacht, und Finn hatte mich weggestoßen, so wie er es immer tat. Und immer tun würde.
Nach allem, was passiert war, hätte ich am liebsten nur noch geweint, aber im Endeffekt war es unwichtig, was ich für Loki oder Finn empfinden mochte. Es war unwichtig, weil ich eine Prinzessin war, die ihrem Volk und ihrem Verlobten verpflichtet war. Tove und
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