Hoehenfieber
hasste dieses selbst ernannte Patriarchat. Sie hasste diese Familie, diese erbärmliche Dekadenz. Sie hasste die Gefühle, die sie nicht empfinden wollte.
„Ich werde morgen einen Empfang geben.“
Ohne sie. Ehe sie sich vorführen ließe, würde sie ihrem Dasein ein Ende bereiten. Niemals sollte es dem Sheikh gelingen, sie zu verheiraten.
Entgegen allen Regeln ihrer Erziehung straffte sie die Schultern und sah ihm ungeheißen ins Gesicht. „Ich werde nicht heiraten!“
Herausfordernd erwiderte sie den Blick des Sheikhs, starrte in seine fast schwarzen Augen unter den dichten Brauen, erfasste die Verärgerung darin, und das gefährlich anmutende Zucken um seine Mundwinkel. Sie sollte froh sein, dass er sie nicht in seinen Harem integrierte, denn das kam vor, auch wenn Derartiges niemals an die Öffentlichkeit gelangte. Manche Mädchen wurden schon mit zehn oder zwölf die Huren ihrer Väter und Brüder, wenn nicht eher.
Nur der Brand, den Hira vor vielen Jahren in Latifas Schlafraum gelegt hatte und die darauf vorgespielte Entstellung ihres Gesichts hatte sie bislang vor einem vielleicht ähnlich erbärmlichen Schicksal bewahrt. Sie wollte nicht wissen, was ihr durch Vaters Wut nun an Schlimmerem bevorstand.
„Bring sie fort“, wies er den Eunuchen an. Seine Stimme klang wie geschliffener Stahl und kalt wie Eis.
An der Tür riss sie sich los und der Moment, ehe der Eunuch ihren Oberarm einfing, reichte, um einen weiteren zornigen Blick in Richtung des Sheikhs zu werfen. Niemals würde er sie brechen, niemals würde sie sich seinem Willen beugen.
Latifa erhielt einen Stoß in den Rücken und stolperte voran. Sie hörte noch, wie ihr Vater Fadi anwies, nach ihrer Mutter rufen zu lassen.
Fünf Jahre später
Dienstag, 27. September, Los Angeles
Virgin zog mit dem Nassrasierer die letzte Spur Rasierschaum aus seinem Gesicht und schüttelte die Klinge im warmen Wasser des Waschbeckens aus.
„Brauchst du noch lange?“, knurrte Wade, der mit angelehnter Schulter den Türrahmen zum Bad ausfüllte.
Virge trocknete sich das Gesicht, knüllte das feuchte Handtuch zusammen und warf es mit Schwung nach seinem Freund. „Bin schon weg.“
Er schob sich an Wade vorbei.
Die Luft in seinem Wohn- und Schlafraum roch noch nach Farbe und frischem Holz. Sein Zimmer war das Erste, das fertig renoviert worden war; einschließlich des Bades, weshalb es kein Wunder war, dass jeder aus ihrer Gruppe morgens angetrabt kam und bei ihm duschen wollte, statt ihre eigenen, heruntergekommenen Bäder zu benutzen. Er stoppte abrupt, drehte sich um und ging ins Bad zurück.
„Hey …“ Wade, nackt wie ein junger Gott und gerade auf dem Weg in die Duschkabine, fraß ihn mit seinen Blicken.
„Kipp dir kaltes Wasser ins Gesicht, Mann. Ich will dir nicht an die Eier.“ Virgin nahm sich den Zahnputzbecher, spülte ihn aus und füllte ihn mit kaltem Wasser. Im Vorbeigehen klatschte er Wade auf den nackten Hintern. „Aber dein Knackarsch lässt mich arg in Versuchung geraten.“ Er lachte und wich Wades vorschnellender Faust aus.
Natürlich stand er nicht auf Kerle, doch es machte ihm Spaß, Wade zu foppen. Immerhin war er es sonst häufig, der den Spott der anderen ertragen musste, nur weil er nicht mit Frauengeschichten prahlte. Wobei es in der Tat nicht viel zu prahlen gab, aber das war eine andere Geschichte.
Vor der ausladenden Palme im Wohnraum ging er in die Knie und goss das Wasser in den Blumentopf.
„Nur so weit, dass der Strich an der Wasserstandsanzeige nicht über max. geht, sonst ertränkst du sie“ , hatte Jamie ihm erklärt, nachdem sie ihm das Grünzeug zur Einweihung des Raumes geschenkt hatte.
Es klopfte, und noch ehe Virge sich wieder aufgerichtet hatte, streckte Seth den Kopf zur Tür herein.
„Wade ist noch drin.“ Hier ging es zu wie im Taubenschlag. „Komm rein und stell dich an. Ich hab schon überlegt, an der Tür einen Nummernspender anzubringen.“ Er grinste, drückte Seth den Becher mit dem restlichen Wasser in die Hand und trat hinaus auf den Innenhof.
In dessen Mitte stapelte sich das Gerümpel, das beim Umbauen der fünf Baracken angefallen war. Die flachen Gebäude umgrenzten den Hof in U-Form und schlossen auf einer Seite an das zur Straße hin liegende, größte Gebäude der Anlage an. Auf der anderen Seite befand sich eine Durchfahrt mit einem großen Stahltor. Davor saß der Streunerkater, den sie seit einigen Monaten durchfütterten, und starrte ihn vorwurfsvoll
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