Höhenrausch (German Edition)
Noppen ja schließlich doch irgendwie mir gehört.
Der Liebeskummer war zwar nicht vorbei, aber die Sehnsucht nach dem, was ich verloren hatte, wurde mit einem Mal erträglich. Selbstverständlich fühlte ich mich weiterhin unglücklich und einsam, aber immerhin saß ich nicht mehr wie mit fünfzehn verheult auf meinem Sitzsack und wartete regungslos, dass es vorbeiging oder er vorbeikam.
Ich war stolz auf mich. Ich hatte aus meinen alten Fehlern gelernt. Dieses Mal würde ich ganz neue machen.
Ich liege im Bett meiner neuen Wohnung und schaue mich um. Andreas’ Schlafzimmer wirkt karg wie eine Mönchszelle, nur auf einem Sideboard türmen sich zig Zeitschriften. Als ich ankam, lagen dort ausschließlich «Spiegel» und «Weltwoche» sowie in Jülich unbekannte Magazine mit seltsamen Namen wie «Qvest», «Sleek», «Dummy» und «Feld».
Ich hatte das Sortiment vergrößert um «Brigitte» (mit dem Dossier «Neuanfang»), «Petra» (mit der Titelgeschichte «Zehn Strategien gegen Liebeskummer») und «Cosmopolitan» (mit dem versiegelten Extraheft im Heft «Die Geheimnisse der Sexgöttinnen – So machen Sie ihn wirklich verrückt»). Selbstverständlich sorgte ich dafür, dass immer ein «Qvest»-Heft zur Tarnung obenauf lag.
Den gestrigen Abend hatte ich in Gesellschaft eines Krautsalates der Firma «Weight Watchers» und einer Flasche «Mumm extra dry» verbracht und in Erinnerungen an die Nacht mit Johann geschwelgt.
Diesmal konnte ich mich auch recht gut erinnern, weil ich nicht ganz so viel getrunken hatte wie in unserer ersten Nacht. Das ist wichtig, denn schöne Erinnerungen sind genauso wichtig wie schöne Erlebnisse. Was hast du davon, wenn du komplett betrunken die tollsten Gespräche führst, die interessantesten Stellungen ausprobierst, endlich zum ersten Mal Telefonsex hast oder dich die geniale Eingebung für eine Romantrilogie überfällt – und du am nächsten Morgen nur noch weißt, dass du irgendwann zu später Stunde von Weißwein auf Cuba Libre umgestiegen bist?
Ich erinnerte mich glückselig vor mich hin. Seine Hände: zum Malen schön und nicht primatenartig, aber dennoch männlich behaart. Seine Küsse: wenig Spucke, viel Gefühl. Seine Redebeiträge: frei von Peinlichem. Das hat man selten bei Männern.
Ungewöhnlich fand ich, dass er gern übers Essen spricht, im Besonderen über Hausmannskost. Wir hatten eine längere Diskussion über Rouladen und Frikadellen und waren uns nicht ganz einig, ob man beides am besten mit Kartoffeln, Kroketten, Kartoffelbrei oder Bratkartoffeln isst.
Wahrscheinlich bekommt der arme Mann zu Hause nichts Vernünftiges vorgesetzt. Seine Frau ist bestimmt so ein Rohkostgerippe mit strengen Falten um den Mund und ständig einem Möhrenschnitz zwischen den schmalen Lippen.
Mich hingegen kann man getrost als guten Esser bezeichnen. Ich esse gerne und gerne viel und halte mich, wenn ich für zwei Personen koche, immer an die für vier Personen angegebenen Mengen. Damit bin ich eigentlich immer recht gut gefahren. Ich kenne keinen Mann, der es mag, wenn er das Fleisch auf seinem Teller erst nach langem Suchen und dann auch eher zufällig unter der crazy Zucchiniblüten-Deko entdeckt.
Wenn ich mich in einer ausgeglichenen Gemütsverfassung befinde, hadere ich grundsätzlich mit meinem Gewicht. Nichts ist für meinen Körper dramatischer als undramatische Zeiten. Meine psychosoziale Beschaffenheit stellt sich folgendermaßen dar: Entweder ich bin schlank, weil ich ein Problem habe, oder ich habe ein Problem, weil ich nicht schlank bin. Es wird also mein Lebtag etwas geben, worunter ich leiden kann. Und das ist doch irgendwie auch beruhigend.
So idealgewichtig wie derzeit bin ich allerdings schon sehr lange nicht mehr gewesen. Die Trennung hat mir grob geschätzt etwa vier Kilo gebracht. Der Umzug nach Berlin nochmal eineinhalb. Für die nächste Zeit rechne ich mit mindestens zwei Kilo, die durch Zusatzverbrennung durch Verliebtsein und regelmäßigen Sex abgehen. Wenn man nun noch so wie Andreas und Silke davon ausgeht, dass Johann nicht seine Frau, sondern mich in etwa sechs Wochen verlassen wird, wären das zusätzliche vier Trennungsschmerz-Kilo.
Sechs Wochen. Das heißt, dass ich Silvester höchstwahrscheinlich wieder in das Kleid passen werde, das ich zu meinem Abiball getragen habe. Ob ich Andreas bitten soll, es mir vorsichtshalber schon mal zu schicken?
Nein, ich sollte wirklich nicht so pessimistisch an die Sache herangehen. Noch habe ich
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