Höhlenangst
den grauen Schnauzer, wählte und raunte Älplerisches in den Hörer. »Der Volker isch daheim«, beschied er uns dann. »Die Mondscheinhöhle sagsch? Da sollt ma dann wohl nausfahre, eh?«
»Und ich fahre derweil schnell zu Hark Fauth.«
Hark Fauth? Wo hatte ich den Namen schon mal gehört? Mein Gedächtnis alzheimerte. Es hatte zügig zwei Tage nach meiner Entlassung damit angefangen. »Warte, Janette, ich komme mit!«
Ich hatte ja sonst nichts zu tun. Und Janettes Pobacken unter dem schweren Gürtel hatten mich längst betört. Die khakifarbenen Hosen spannten sich über kleinen Bällen, und über der Pospalte warf sich der Stoff zu einer berü ckenden V-Falte auf. War Janette sich dieser Köstlichkeit bewusst? Achtete sie beim Kleiderkauf darauf, dass ihre Hosen diese Falte warfen?
»Du willst mit?« Janette musterte mich von oben bis unten. »Aber unsere Muttertiersorgen gehen dir doch kilometerweit am Arsch vorbei, Lisa!«
»Ach, das würde ich nicht sagen«, stammelte ich.
Wir eilten zurück in die Fachwerkschlucht. Im Augenwinkel sah ich einen jungen Polizisten mit einem Zahlschein in der Hand um Brontë herumschleichen, die einsam auf einem umfriedeten Parkplatz hinterm Museum stand. Aber jetzt galt es, Prioritäten zu setzen. Ich folgte Janette zu ihrem silbrigen Überlandgolf. »Wer ist Hark Fauth?«
»Gerrits Vater.«
Wir rollten unter der Brücke der Landstraße hindurch östlich aus Trochtelfingen raus. Die Bäume am Straßen rand waren über die Knospen noch nicht hinaus. Im Wald herrschte das Einheitszartgrün des Frühlings, unterbrochen vom dunklen Nadelgrün der Fichten und Tannen. Auf der Alb war es eben immer einen Kittel kälter.
»Und warum fahren wir zu diesem Hark Fauth?«, erkundigte ich mich. »Warum rufen wir ihn nicht an?«
Janette blickte kurz zu mir herüber. »Weil wir ihn gleich mitnehmen zur Höhle. Er ist …«
Mir schuppte es von den Hirnzellen. »Verdammt, Hark Fauth, der Höhlenforscher. Der, der in der Sirgenstein höhle am Hohlen Fels bei Laichingen den Steinzeitpim mel entdeckt hat – nein, kein versteinerter Schwanz, sondern Steinzeitkunst – und die ältesten Höhlenmalereien der Menschheit. Der Held meiner pubertären Jugendtage. Ich besaß sogar einen Bildband von ihm. Feuchte Höhlenmünder sehen doch alle aus wie Muschis.«
»Ist das immer noch das Einzige, was dich interessiert?«
»Je älter ich werde, desto mehr. Und ich werde vierzig dieses Jahr.«
Janette klemmte kurzsichtig hinter dem Lenker. Wir schlingerten nach Steinhilben hinauf. »Hark kommt ei gentlich aus Laichingen. Er ist erst vor zwei Jahren hierher gezogen. Nach dem Unglück mit seiner Frau.«
»Was für ein Unglück?«
»Vor drei Jahren im Todsburger Schacht.«
Ich schwieg ein Fragezeichen in die Luft.
»Da kommst du dran vorbei, wenn du von Stuttgart nach München fährst. Die Höhle liegt am Autobahnalbaufstieg bei Mühlhausen im Tale, in dem Berg, an dem sich die Fahrspuren teilen. Eine Schachthöhle, über sieb zig Meter tief. Hark ist zwanzig Meter hinab in die Untere Halle gestürzt. Er lag wochenlang im Koma. Sibylle starb im Seil.«
»Im Seil?«
»Das kommt leider immer wieder vor. Wenn jemand ohnmächtig am Seil im Sitzgurt hängt, dann staut sich das Blut in den Beinen. Nach ungefähr zehn Minuten stirbt er an Blutmangel im Herzen. Und Hark konnte Sibylle nicht mehr aus dem Seil retten.«
»Unschön!«
»Er selbst erinnert sich an absolut nichts mehr, sagt er. Aber es gab eine Untersuchung. Demnach hat Sibylle sich im Seil verletzt, und Hark ist beim Versuch, sie zu retten, abgestürzt. Ein typischer Petzl-Stop-Unfall.«
»Bitte was?«
Janette ratschte durch die Gänge. »Petzl-Stop, so heißt ein Fabrikat von Abseilgeräten, das eine Notfallbremse besitzt. Ursprünglich sind Abseiler ganz einfache Metallösen in Form einer Acht am Sitzgurt.«
»Der Abseilachter!«, sagte ich. »Zur Not tut es auch ein stabiler Flaschenöffner. Das kenne ich noch vom frei en Klettern. Ist allerdings schon ein paar Jahre her.«
Janettes Blick rutschte kurz zu mir herüber. »Dann weißt du auch, dass der Achter in Höhlen nicht taugt.«
»Nein, weiß ich nicht«, beruhigte ich meine eifersüchtige Chauffeurin.
»Nun, in Höhlen sind die Abseilstrecken so lang, dass der Achter das Seil zu sehr durchwalken würde. Also benutzt man Abseiler, die das Seil weniger belasten. Da gibt es welche mit einer so genannten Totmannstellung. Das heißt, sie blockieren, sobald der Kletterer im Seil
Weitere Kostenlose Bücher