Feuertochter: Roman (German Edition)
Erster Teil:
Leuchtender Klee
1.
S araid schreckte hoch, als jemand sie ungeduldig anstieß. Erschrocken riss sie die Augen auf und sah die Mutter über sich gebeugt. In der einen Hand eine Fackel, in der anderen den Dolch, den sie nicht einmal abgelegt hatte, um ihre Tochter zu wecken.
»Aufstehen, Kind! Wir müssen fliehen!«
»Fliehen?«, fragte das Mädchen verwundert. Erst langsam nahm es das Geschrei und die Rufe wahr, die von draußen hereindrangen.
»Zieh dich an! Ich hole Ciara.« Mit diesen Worten eilte die Mutter aus der Kammer und ließ Saraid in der Dunkelheit zurück.
»Ich sehe nichts! Wie soll ich mich denn anziehen?«, rief die Kleine noch, doch es war niemand mehr da, der ihr hätte Antwort geben können. Sie begriff jedoch, dass Eile nottat. Daher kroch sie aus dem Bett, tastete nach ihrem Kittel und streifte ihn über. Hoffentlich ist er nicht verkehrt herum, dachte sie noch, vergaß das Problem aber, als ein entsetzlicher Schrei durch die Burg hallte.
Erschrocken tastete Saraid sich zur Tür und schlüpfte hinaus. Auf dem Korridor war es etwas heller. Eine greinende Magd rannte an ihr vorbei, ohne sie zu bemerken.
»Was ist los?«, rief Saraid. »Wieso müssen wir fliehen?«
Niemand antwortete ihr. So trat sie an eine der als Fenster dienenden Schießscharten und schrie auf.
Im Burghof wurde gekämpft. Saraids Vater verteidigte mit dem Mut der Verzweiflung die Tür des Wohnturms gegen drei Feinde. In einem der Angreifer erkannte Saraid Lochlainn O’Néill, der am Vortag als Bote von Aodh Mór O’Néill in die Burg gekommen war, um über einen Frieden zwischen seinem Clan und den Ui’Corra zu verhandeln.
So jung Saraid auch war, so begriff sie doch, dass Lochlainn O’Néill in der Nacht heimlich das Tor der Burg geöffnet und Feinde hereingelassen hatte.
»Verfluchte Ui’Néill!«, schrie sie auf und wünschte sich, ein Krieger wie ihr Vater zu sein, den selbst drei Männer nicht zu bezwingen vermochten. Ein halbes Dutzend weiterer Ui’Corra-Krieger stemmte sich ebenfalls den Feinden entgegen. Doch es kamen immer mehr Ui’Néill durch das offene Burgtor, und hinter ihnen tauchten Männer in blanken Rüstungen und Waffenröcken auf, auf denen das verhasste englische Wappen prangte.
»Verfluchte Sasanachs!«, zischte Saraid.
Da klang erneut die Stimme ihrer Mutter auf. »Saraid, komm endlich! Du musst Ciara tragen. Wir Frauen haben alle Hände voll zu tun!«
»Ja, Mama!« Noch während Saraid es sagte, wurde ihr auch schon der Säugling in die Arme gedrückt. Ihre Mutter und die anderen Frauen rafften Wertsachen und persönliche Erinnerungsstücke an sich, die sie nicht den Feinden überlassen wollten.
Ciaras Mutter Eibhlín Ní Corra nahm die Clanharfe von ihrem Platz, hängte sie aber sogleich wieder zurück. »Wir können sie nicht mitnehmen – wie so vieles andere. Gott soll diese verräterischen Ui’Néill mit der Pest schlagen!«
Dann blickte sie kurz zu Saraid hin. »Du musst auf Ciara achtgeben, Saraid, verstehst du?«
Die Kleine nickte. »Ja, Tante Eibhlín.«
Die Frau des Clanchefs nickte ihr zu, hob das Bündel auf, in dem sie die wichtigsten Urkunden und Besitztümer des Clans verstaut hatte, griff nach einem Schwert und stieg nach unten. Saraids Mutter und die anderen Frauen folgten ihr auf dem Fuß, während Saraid noch einen raschen Blick in den Burghof warf. Dort wimmelte es mittlerweile vor Feinden. Die wenigen Ui’Corra, die sich dem Eindringling noch entgegenstemmten, standen auf verlorenem Posten.
»Saraid, komm endlich!«
Der scharfe Ruf der Mutter brachte das Mädchen zur Besinnung. Sie drückte die weinende Ciara fest an sich, rannte zur Treppe und achtete sorgsam darauf, auf dem Weg nach unten nicht zu stolpern. Sie schnupfte ihre Tränen; ihre Mutter und Tante Eibhlín hatten ihr eine Aufgabe erteilt, und sie durfte die beiden nicht enttäuschen.
»Wir schaffen es, Ciara«, flüsterte sie dem Säugling ins Ohr und versuchte damit auch sich selbst zu beruhigen.
Inzwischen hatte Eibhlín Ní Corra eine geheime Tür in der Vorratskammer geöffnet, von der selbst Saraid nichts gewusst hatte, und betrat als Erste den engen Gang. Saraids Mutter folgte ihr, und dann wurde Saraid selbst in die Öffnung geschoben. Das Mädchen stolperte hinter dem Licht einer blakenden Kerze her durch die feuchtklamme Dunkelheit.
»Wenn wir draußen auf Feinde stoßen, versteckst du dich mit Ciara und sorgst dafür, dass sie nicht schreit. Sonst verrät sie euch«,
Weitere Kostenlose Bücher