Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
ganz anders: dick, wuchtig, zusammengezimmert. Die Drakkenstadt wirkte, trotz der verwirrenden Formen,
sehr planvoll errichtet. Leandra fragte sich, wie ein Volk, das so
brutal und kriegslüstern zu sein schien, eine solche Kunstfertigkeit aufzubringen vermochte. Ihr kleines Schiff setzte zur Landung an. Es ging auf einer der Plattformen nieder, die dünn wie
Papier zu sein schienen und nur an ein paar silbernen Drähten
zwischen zerbrechlichen Masten hingen. Aber als Leandra aus der
Tür des Schiffs auf die Plattform sprang, war es, als käme sie auf
festem Erdboden auf. Nichts wackelte, schwang und vibrierte. Ein
unglaubliches Material. Rasnor führte sie über zwei Stunden lang
durch all die Einrichtungen und Anlagen und ihr stand vor Staunen der Mund offen. Die Zahl der hier anwesenden Drakken war
gewaltig – Leandra schätzte, dass sich hier über tausend von ihnen befanden, vielleicht sogar noch viel mehr – in Bereichen der
Stadt, die sie gar nicht betraten. Jeder von ihnen trug einen Körperpanzer in einer bestimmten Farbe. Sie glänzten schwarzmetallisch, aber bei jedem schimmerte ein bestimmter Farbton
hindurch: Grün, Rot, Gelb, Braun und manchmal sogar eine Art
Weiß. Nur die wenigsten der Drakken waren bewaffnet; hier in
dieser Anlage schien es um ganz andere Aufgaben zu gehen.
In einer riesigen Halle schwebte eine Wolke von weißen und gelben Funken in der Luft; dazwischen gab es leuchtende Linien in
vielen Farben, das Ganze durchzogen von einem blass glimmenden Gitternetz. Rasnor erklärte ihr, dies wäre das Weltall, so wie
es dort draußen zu sehen sei, außerhalb der Höhlenwelt. Der
Anblick ähnelte, so erinnerte sich Leandra mit einem unangenehmen Gefühl im Magen, der milchigen Spirale, die sie inmitten
von Sardins Turm in der Dunkelheit gesehen hatte.
Rasnor zeigte ihr Hallen, in denen zahllose wabenförmige Kisten
gestapelt waren, und solche, in denen riesige Maschinen standen,
größer als Häuser, mit Greifarmen oder gewaltigen Rädern. All
das, erklärte er ihr, diene den Zwecken dessen, was die Drakken
mit ihrer Welt vorhatten. Leandra spürte ein Rumoren im Magen,
denn all diese Dinge deuteten auf etwas Gewaltiges hin – besonders in Zusammenhang mit dem Wort Fabrik, das Rasnor mehrfach erwähnt hatte. Sie befürchtete, dass die Höhlenwelt binnen
kurzem eine Wandlung durchmachen würde – eine Wandlung, die
so arg sein würde, dass man sie danach überhaupt nicht mehr
wiedererkannte.
Aber Leandras Fluch war ihre zutiefst neugierige und wissensdurstige Seele, und so überwog das Erstaunen über die unfassbaren Errungenschaften dieser fremden Wesen. Sie wünschte sich,
Frieden mit ihnen zu schließen, um von ihnen lernen zu können.
Aber das war wohl ein naiver Gedanke. Die Drakken nahmen sich
einfach, was sie haben wollten.
Nachrichten ohne Zeitverlust übermitteln, ging es ihr durch den
Kopf. Ja, das war es, was sie haben wollten – aber warum mit
Zwang und Gewalt? Sie verstand es nicht. Sie verstand nicht die
Art dieser Wesen, ihr Ziel zu verfolgen und dabei keinen Unterschied zwischen Moral und Unmoral zu kennen. War jemand im
Weg, wurde er beseitigt. Vermutlich erst, nachdem sein Nutzen
abgewogen worden war – dabei aber tauchte die Frage, ob es ihm
wehtun würde, erst gar nicht auf. Trotz allem Erstaunen und aller
Ehrfurcht während ihrer Entdeckungsreise durch die Drakkenstadt
pochte ihr Herz dumpf. Als sie schließlich wieder aus den Hallen
ins Freie traten, war der Abend angebrochen. Nur noch ein
schwaches, orangefarbenes Glimmen drang durch das kleine
Sonnenfenster in die Welt herab. Immerhin, dachte sie, folgte
hier auf der Säuleninsel dem Nachmittag immer noch der Abend.
Warum sie zuvor vom Abend in den Nachmittag geraten war, hatte sie nicht verstanden. Rasnor winkte ihr und marschierte über
die seltsamen Rampen und Stege wieder hinauf zum Landeplatz.
Sie bestiegen das kleine Drakkenschiff und Leandra begegnete
dem zweiten gewaltigen Wunder dieses Tages.
Als das kleine Schiff nun senkrecht nach oben stieg, immer höher und höher, konnte das eigentlich nur eines bedeuten. Voller
Aufregung drückte Leandra das Gesicht an das Fenster. Die gewaltigen, abendlich dunkelgrauen Felswände der Stützpfeiler glitten an ihr vorbei und sie versuchte zu erkennen, was dort über
ihr war. Rasnor gab ihr ein Zeichen und deutete zum gegenüberliegenden Fenster. Sie wechselte die Seite und starrte ungläubig
das Ding an, das sich dort ihren Blicken
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