Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
auch allein zu ihm
gehen…«
Roya blickte sie forschend an, so als käme gerade ein Missverständnis zwischen ihnen auf. »Moment!«, unterbrach Marko.
»Quendras wurde letztlich doch geheilt, oder? Wie geschah das,
wenn Ulfa nicht helfen wollte?«
Roya, die kurz zu Marko gesehen hatte, senkte wieder den
Blick.
Alina stutzte. »Also… hat er Quendras doch geholfen?«
Roya schüttelte den Kopf. »Nein, hat er nicht. Aber… bevor er
mich verließ, warnte er mich. Er sagte, ich solle nicht eigenmächtig versuchen, diese Regeln zu brechen. Und… gerade das brachte
mich auf die Idee.«
»Auf welche Idee?«
Sie holte tief Luft und sah auf. »Sardin. Ich habe Sardin um Hilfe gebeten. Ich bin in seinen Turm gegangen und habe ihn gefragt.«
Schweigen breitete sich unter den vieren aus. Wiewohl Royas
verzweifelte Tat eigentlich immer noch unter dem Vorzeichen eines gerechten Ansinnens stand, verschob allein die Nennung von
Sardins Namen alles ins Reich des Bösen. Alina wurde sehr rasch
klar, dass Roya doch einen Fehler begangen hatte – wahrscheinlich sogar einen sehr großen.
Neue Tränen liefen Royas Wangen herab. »Versteht ihr jetzt?
Ich habe Quendras das Leben gerettet, aber ich habe gegen Ulfas
Warnung gehandelt. Irgendetwas Schreckliches ist geschehen.
Ich spüre es. Quendras lebt und der Pakt ist bis nach Savalgor
gekommen, aber trotzdem – irgendetwas Furchtbares ist geschehen. Ich bin einen Schritt zu weit gegangen. Ich kann Ulfa nicht
mehr unter die Augen treten.«
Alina schwieg noch eine Weile, aber in ihr verdichtete sich ein
Entschluss. »Nein, Roya!«, sagte sie schließlich mit Bestimmtheit.
»Auf gar keinen Fall wird diese Sache besser, indem du dich verkriechst! Du hast noch einen viel wichtigeren, persönlichen Grund
als ich, Ulfa wieder zu sehen!« Sie hielt noch immer Royas Hand,
ließ sie nun aber los und stand auf. »Dieses Bor Akramoria liegt
doch nicht allzu weit von hier entfernt, oder?« Sie nickte entschlossen. »Morgen werden wir dorthin aufbrechen. Wir beide –
du und ich!«
*
Alina lag noch lange wach. Als sie die bitter weinende Roya verlassen hatte, war Marko aufgestanden und hatte sie tröstend in
die Arme genommen. Alina war nicht wütend auf Roya gewesen,
im Gegenteil. Sie konnte sie nur allzu gut verstehen. Aber es
durfte nicht sein, dass ein Mensch, der ein so reines und gutes
Herz besaß wie Roya, seine Seele damit verdarb, dass er aus
Angst oder Scham vor der Wahrheit floh – besonders vor einer so
wichtigen. So etwas endete immer böse. Erst nahm man eine
kleine Lüge als gegeben hin, dann geschah das Gleiche mit der
nächst größeren Lüge, und so ging es immer weiter, bis man irgendwann seine Seele verkauft hatte. An den Verrat, den Eigennutz und die Bequemlichkeit der Lüge. Alina hatte neun Monate in
einer solchen Gruppe von Menschen zugebracht – der Bruderschaft von Yoor. Chast hatte sich immer über die Unzuverlässigkeit und den Eigennutz seiner Leute beklagt. Doch er selbst war
der Größte unter ihnen gewesen: der Anführer einer Gruppe von
Leuten, die aus Gewohnheit logen, vertuschten, täuschten und
verleumdeten. Sie taten das sogar mit Fleiß untereinander. Alina
hatte diese Art zu leben hassen gelernt.
Dass sich Marko stehenden Fußes in Roya verliebt hatte, war
leicht aus einer Meile Entfernung zu erkennen. Aber Alina selbst
ging es fast ebenso. Roya besaß eine Ausstrahlung, die ihr fast
den Atem nahm. Sie war so lebendig, neugierig und voller Liebe
für alles Schöne, dass Alina sie für jede ihrer Bewegungen, für
jedes Wort und jeden Blick hätte küssen mögen.
Deshalb war sie so grob zu Roya gewesen, deshalb hatte sie so
unmissverständlich verlangt, dass sie zu Ulfa mitkommen müsse.
Denn es kam überhaupt nicht infrage, dass Roya ihr Gewissen
und ihre lautere Seele aufs Spiel setzte, um diesen Fehler, den
sie begangen hatte, herunterzuspielen und in Vergessenheit geraten zu lassen. Sie war sehr jung und überschaute vielleicht nicht
die Tragweite ihres Handelns. Aber sie hatte einen ernsten Fehler
begangen und den musste sie wieder aus der Welt schaffen. Ulfa
musste einen wichtigen Grund für seine Entscheidung gehabt haben, Quendras nicht zu helfen. Alina ahnte, ebenso wie Roya, das
etwas Furchtbares passiert war. Sie hatte von Leandra erfahren,
dass Sardin in Hammagor nicht mehr auffindbar gewesen war.
Und das, obwohl er Victor zuvor regelrecht erpresst hatte, ihm
Leandra nach Hammagor zu bringen.
Da stimmte etwas nicht, und sie
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