Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
der
Höhlenwelt geben konnte. Zugleich aber glaubte sie auch schon
die rätselhafte Aura dieses übernatürlichen Wesens spüren zu
können. Tirao gewann an Höhe, während Majana weit oben einen
ersten Kreis über der Festung auf dem Felszinken zog. Als Tirao
ebenfalls die Höhe der Sturzkante erreichte und darüber hinauf in
den Himmel stieg, erblickte Alina ein märchenhaftes, lichtdurchflutetes Flusstal, das sich nach Nordwesten hin anschloss. Vor
dort strömten, der Flussmündung in den Bergen nicht unähnlich,
riesige Wassermassen herbei. Der Fluss wirkte friedlich und ruhig; weiter nordwestlich war er von einer Vielzahl von kleinen und
großen Felsen durchsetzt.
Die Festung lag auf einem länglichen Felsen, der sich wohl über
eine halbe Meile weit ins Flusstal hineinzog. Sie bestand aus zwei
Bauwerken: einem größeren, das weiter vorn lag und sich auf
verwegene Weise über den Abgrund hinaus in den Himmel türmte, und einem zweiten, weniger hoch und nach Nordwesten hin
gelegen, in Richtung des heranströmenden Flusses. Der Grad des
Verfalls schien mäßig; als sie jedoch näher kamen und Einzelheiten erkennen konnten, wurde deutlich, wie alt die kleine Festung
sein musste. Alles bestand aus einem grimmig aussehenden,
grauschwarzen Felsgestein. In der Mitte der Anlage, die von einer
großen, an manchen Stellen verfallenen Mauer umspannt wurde,
befand sich ein freier Platz – so etwas wie ein Innenhof. Alina und
Roya betrachteten gebannt und ehrfürchtig schweigend diesen
Ort, an dem so viel Geschichte geschrieben worden war.
»Glaubst du, wir sind hier willkommen?«, fragte Alina.
»Ich hoffe«, erwiderte Roya, »Ulfa verbrennt mich nicht gleich
zu Asche, wenn er mich wieder sieht.« Majana kreiste hoch über
der Festung und machte keine Anstalten, dort niederzugehen.
Auch Tirao zog noch eine unentschlossene Schleife. »Tirao will
gleich wieder starten, nachdem er uns abgeladen hat«, sagte
Roya. »Bor Akramoria ist für die Drachen kein Ort, an dem sie
sich gern aufhalten. Er wagt die Landung eigentlich nur, weil er
Ulfa kennt.« Alina nickte verstehend. In der letzten Minute hatte
sich irgendetwas um die Festung herum verändert. Tirao beschrieb eine enge Kurve und flog Bor Akramoria von Norden her
an. Bald darauf ging er sanft auf den riesigen Steinplatten des
Innenhofs nieder. Er wartete, bis die beiden ihr Gepäck losgemacht hatten und von seinem Rücken herabgeklettert waren.
Roya bat er, ihn übers Trivocum zu rufen, wenn er sie wieder abholen sollte. Sie machten ein paar schnelle Schritte von ihm fort,
als er sich in die Luft warf und mit zügigen Schwingenschlägen an
Höhe gewann. Dann standen sie allein auf dem Innenhof.
Alina deutete in die Höhe. »Sieh mal!«, flüsterte sie. »Gab es
damals nicht auch ein Unwetter, als Leandra hier war?«
Roya nickte voller Vorahnungen. Das Licht wurde immer spärlicher, über ihnen hatte sich eine grauschwarze, dräuende Unwetterwolke gebildet. »Der Willkommensgruß der Festung für ungebetene Gäste«, flüsterte sie.
Eine kalte Windböe fuhr über den Innenhof und wirbelte trockene Blätter auf. Die uralten Steinplatten waren an vielen Stellen
aufgesprengt; Gras, Sträucher, Büsche und einige kleinere Bäume
hatten sich in den Ritzen festgekrallt und fristeten ein freudloses
Dasein. So staunenswert der Ort auch sein mochte, so abweisend, kalt und unfreundlich wirkte er. »Wo müssen wir hin?«,
fragte Alina leise. Roya deutete auf den großen Bau an der Stirnseite der Festung. »Dorthin, nehme ich an.« Sie blickten auf einen hohen, verschachtelten Tempelbau, dessen Wände, Decken
und Mauern dem Zahn der Zeit nicht vollständig hatten widerstehen können. Manche Gebäudeteile waren eingestürzt, andere von
Pflanzen mit Luftwurzeln überwuchert. Hohle Fensterlöcher glotzten sie an, als wollten sie eine Warnung aussprechen, lieber so
schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Die düstere Wolke
über der Festung verdichtete sich indessen immer mehr. Ein
dunkles, noch verhaltenes Dröhnen rollte heran wie das warnende
Knurren eines Tieres. Im Innern der Wolken leuchteten gelbe Blitze auf und der Wind stob immer häufiger in eiskalten Böen über
den Hof.
»Stammt das wohl von Ulfa?«, flüsterte Roya voller Furcht.
»Vielleicht sollte ich besser von hier verschwinden.«
Alina antwortete nicht. Sie nahm ihre Gepäckrolle auf, schulterte sie und hakte sich bei Roya unter. Langsam gingen sie auf den
großen Tempelbau zu. Alina zog
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