Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
sie sandte mehrere Stoßgebete zu den Kräften, dass die
Situation jetzt nicht außer Kontrolle geriet. Victor war bis zum
Äußersten angespannt, das konnte sie sehen. Verständlich – eine
Begegnung dieser Art widerfuhr einem auch nicht jeden Tag. Alina, die von allem nichts zu ahnen schien, zeigte sich völlig unbewusst von ihrer allerbesten Seite. Sie sah einfach hinreißend aus,
war liebenswürdig und freundlich zugleich, bewies in wenigen
Sätzen Scharfsinn, Stil und Herzenswärme – sie war einfach, so
dachte Leandra, zum Verlieben. Victor jedoch warf ihr Blicke zu,
als stünde er vor Chast oder Sardin.
Ein Sturm der Gefühle tobte in Leandra. Immerhin empfand sie
für Alina eine derart große Zuneigung, dass sie ihr Victor gönnte.
Sie liebte ihn nach wie vor, aber wenn sie ihn schon an eine andere Frau verlieren musste, dann an keine andere als Alina. Irgendwie empfand sie es als beruhigend, dass Alina von all dem
nichts ahnte. Sie war vollkommen unschuldig – sie hatte nichts
Verräterisches getan, sich nicht zwischen Leandra und Victor gedrängt, auch wenn Victor das so sehen mochte.
Dann kam der Moment, da Alina Marie wiederhaben wollte.
Sie trat zu Victor, lächelte ihn freundlich an und streckte die
Arme nach ihrem Sohn aus. Victor reichte ihn ihr. Sie nahm ihr
Baby an sich, aber in dem Augenblick, da sie sich von Victor abgewendet hatte, zögerte sie. Sie drehte sich wieder um und suchte Victors Blick. Aber da war er schon abgetaucht und in der Menge der Leute verschwunden. Alina blieb kurz stehen, begab sich
dann aber zu Leandra und den anderen. Alle Hallen, Zimmerfluchten und Korridore hier oben waren voller Männer, es waren inzwischen, wie Jacko berichtete, weit mehr als zweihundert, zu allem
entschlossen. Sie wollten einen harten, schnellen Schlag führen,
und alles so schnell wie möglich hinter sich bringen. Meister Fujima war zuversichtlich, dass sie Erfolg haben würden. Der Schlüssel, so meinte er, bestand in den sechzehn zusätzlichen Magiern,
die jetzt zu ihnen gestoßen waren.
»Der Hierokratische Rat hält sich im Hintergrund«, berichtete
Alina. »Sie wollen den Eindruck erwecken, als hätten sie mit all
dem nichts zu tun. Sie benutzen die verbliebenen Ratsmitglieder,
die auf unserer Seite stehen, gewissermaßen als Deckung. Es
fehlt nur der Primas Fellmar. Sie haben ihn hinterrücks ermordet.« Leandra nickte. »Das haben wir schon erfahren. Weißt du,
wie viele Leute sie haben?«
»Nicht genau. Meister Fujima glaubt, es sind weniger als wir…
ich meine, als wir es heute Nacht noch waren. Vielleicht siebzig
oder achtzig Mann. Dazu kommen allerdings mindestens zwei
Dutzend Magier von der Bruderschaft. Sie haben uns schwer zu
schaffen gemacht. Wir hingegen hatten nur ihn hier.« Sie lächelte
den Meister an, der nahe bei ihr stand. »Aber sie hatten keine
Ahnung, wie gut er ist.«
Leandra warf ihrem alten Kampfgefährten einen dankbaren Blick
zu. Er sah aus, wie zu erwarten war: geschwärzte und zerrissene
Robe, angekohltes Haar und ein ansteckendes Lächeln im Gesicht. Er hatte einmal gesagt, dass solch ein Kampf ihm direkt
Spaß machen würde, wenn es keine so gewalttätige Angelegenheit wäre.
Alina nahm Leandra beiseite. »Sag mal, Leandra«, fragte sie,
»wer war dieser Mann? Der Marie vorhin gehalten hat?«
Leandra schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter.
»Das war… Victor. Du hast ihn schon mal gesehen – in Unifar.
Er hat damals mit uns gekämpft. Er war derjenige mit der Trommel – der Canimbra.«
»Ach so«, sagte Alina. Ihr Blick war nachdenklich, aber sie
schien mit der Antwort zufrieden zu sein.
Leandra atmete innerlich auf. Wenigstens hatte sie diese
schwierige Sache nicht gleich mit einer Lüge begonnen. Es traf
zu, was sie gesagt hatte. Nur dass Victor zugleich der Mann in
dem Verlies gewesen war – der Vater von Almas Sohn, – hatte sie
verschwiegen. Nach dem Kampf war noch genug Zeit für diese
Offenbarung.
Jacko und Victor kamen zu ihr. Jacko berichtete, dass man zum
Angriff bereit wäre. »Es wird Zeit loszuschlagen. Sonst riskieren
wir, dass die dort unten irgendetwas mitbekommen.« Er hatte
seine Worte wie eine Meldung an einen Kommandanten vorgetragen.
Leandra fasste ihn am Handgelenk. »Jacko«, bat sie. »Übernimm du das Kommando. Ich weiß gar nicht, warum ihr mich
immer zur Anführerin machen wollt. Du weißt doch viel besser als
ich über solche Kämpfe Bescheid. Ich bleibe in Alinas Nähe.«
Er studierte voller Sorge
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