Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
ihr Gesicht und nickte dann knapp. Wie
ein Vater strich er ihr mit dem Finger über die Wange und
schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. »Du hast eigentlich
Recht, Prinzessin«, sagte er, und es war das erste Mal seit langem, dass sie wieder jemand so nannte. So wie Munuel es früher
getan hatte. »Eigentlich hast du keine Ahnung von Schlachten
und Taktik. Ich weiß auch nicht, warum ich dich immer wieder
behandle wie… eine Shaba.«
Sie warfen alle drei einen Blick zu Alina, die ein Stück abseits
stand und mit Hochmeister Jockum sprach. So als hätte sie es
gespürt, blickte sie zu ihnen.
»Sie ist die Shaba!«, sagte Leandra leise. Sie sah kurz zu Victor,
dann wieder zu Jacko. »Diesen Respekt hat sie verdient, nicht
ich!«
Victors Blicke hafteten noch immer auf Alina, dann nickte er
schwach, erwiderte aber nichts.
Leandra spürte einen Schauer ihren Rücken hinabgleiten. Sie
wandte sich an Jacko. »Wir dürften jetzt in der Übermacht sein«,
sagte sie.
»Bringt niemanden unnötig um – besonders niemanden von der
Palastgarde. Die Leute tun bloß ihre Pflicht. Nur die Magier von
der Bruderschaft müssen wir schlagen. Und auch dem Rat darf
nichts geschehen! Ich will, dass er bis zur Mittagszeit Alina als
Shaba anerkannt hat!«
Jacko seufzte. »Du bist sehr zuversichtlich, mein Herz. Ich hoffe, es klappt!«
»Tu es einfach!«, bat sie ihn. »Ich bin des Kämpfens müde.«
Wieder nickte er, drehte sich um und ging davon.
Victor folgte ihm zögernd. Leandra blieb bei Alina. Sie hatte oft
genug ihr Leben riskiert.
Wenn es irgend ging, wollte sie sich aus diesem Kampf heraushalten.
*
Es wurde in der Tat nicht so einfach, wie Leandra es sich erhofft
hatte.
Bald nachdem Jacko davongegangen war, ertönte plötzlich ein
gewaltiges Gebrüll aus zweihundert Kehlen. Männer stürmten die
Treppen hinab und stürzten sich auf den Feind. Zuerst war nur
Schwertergeklirr und Gepolter zu hören, dann aber erklangen die
ersten unguten Geräusche, die auf Kampfmagien schließen ließen. Furchtbare Schreie gellten durch die Korridore und Gänge;
Leandra stockte der Atem. Sie schaffte es nicht, ruhig im Hintergrund zu bleiben.
»Ich muss gehen und nachsehen«, sagte sie voller Elend zu Alina, drückte sie am Arm und wandte sich um.
Alina hielt sie am Ärmel fest. »Ich würde mit dir gehen, wenn
ich könnte«, meinte sie.
Leandra glaubte ihr das. Aber Alina war weder Magierin, noch
hatte sie jemals ein Schwert geführt. Dafür hielt sie Marie im
Arm.
»Schon gut, Alina«, sagte Leandra.
»Warte!«
Leandra blickte noch einmal in ihr Gesicht. Mit Überraschung
sah sie, dass Alinas Augenwinkel feucht waren. »Was ist denn?«
»Er ist es, nicht wahr?«
Leandras Herzschlag setzte für einen Moment aus.
»Was… was meinst du?«
Ein Träne rann Alinas Wange hinab. »Du weißt, was ich meine.
Victor. Der Mann, den du liebst. Du hast mir oft genug von ihm
erzählt. Er ist es. Er ist Maries Vater, nicht wahr?«
Ein krachender Schlag fuhr hinter ihnen durch den Korridor, gefolgt von grellem, weißblauem Aufleuchten. Sie fuhren zusammen
und Marie begann vor Angst laut zu weinen. Schreie des Entsetzens gellten durch die Gänge und ein ekelhafter Gestank wehte
über sie hinweg.
»Später«, keuchte Leandra, wandte sich um und rannte davon.
»Gib auf ihn Acht«, rief Alina ihr hinterher. Leandra wusste zuerst nicht, wen sie meinte, und dann ging schon ihr Ruf in einem
weiteren scharfen Krachen unter. Sie war bereits ein Stück den
Korridor hinabgeeilt, hinter dessen Biegung ein heißer Kampf entbrannt zu sein schien. Ehe sie überhaupt die Orientierung gewinnen konnte, befand sie sich schon mitten im Kampfgeschehen.
Eine Gruppe Gegner, offenbar alles Kampfmagier, brach von unten durch. Es gab nur ein Ziel, auf das sie es abgesehen haben
konnten: Alina. Als der Erste von ihnen aus dem Treppenaufgang
hinter der Biegung sprang, war Leandra noch zu überrascht, um
handeln zu können. Einen Augenblick später sah sie schon eine
seltsame, grünlich-weiße Feuerwolke auf sich zurasen. Sie ließ
sich instinktiv fallen, rollte unter der Wolke hindurch und blieb
benommen liegen. Der Magier rannte auf sie zu, sprang über sie
hinweg und eilte weiter in Richtung der kleinen Halle, in der sich
Alina und mehrere Soldaten der Palastgarde aufhielten. Weitere
Männer sprangen über sie hinweg; es war reines Glück, man
schien sie für tot zu halten. Um sie herum lagen andere – und die
waren wirklich tot. Bevor sie einen Gedanken
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