Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
blöde? Seit Jahrtausenden erforschen sie die
Leviathane, haben die irrsinnigsten Geräte entwickelt, um jeden
kleinsten Stromimpuls in ihren Nervenbahnen zu messen – und
da kommt plötzlich eine dumme Göre wie du daher und denkt, sie
könnte mit ein paar tränenfeuchten Träumen alles über den Haufen schmeißen!« Roscoe stand auf. »Reiß dich zusammen, Griswold!«, schnauzte er sein Gegenüber an. »Ich weiß, es klingt
seltsam, was sie da sagt, aber du hast keinen Grund, deswegen
ausfällig zu werden!« Griswold brummte unwirsch, winkte ab und
setzte sein aufgekratztes Hin-und-her-Gelaufe fort. Leandra vermutete, dass gewisse andere Dinge in seine Wut mit hineinspielten. Warum er sich plötzlich derart aufgebracht gab, wäre sonst
nicht zu erklären gewesen. Darius setzte sich wieder neben
Leandra, die wütende Blicke auf Griswold abschoss, und legte ihr
beruhigend eine Hand auf die linke Schulter. »Nun erzähl noch
mal, was du… gespürt hast, als diese Königin da war«, sagte er
leise. »Ich hab das alles nicht richtig verstanden.«
Leandra schnaufte ärgerlich und wandte dann endlich den Blick
von Griswold ab. »Dass dieser Kerl mich so mies anredet, hätte
ich ihm nicht zugetraut.
Was ist los mit ihm?«
Roscoe zuckte mit den Schultern. »Ich weiß auch nicht«, antwortete er leise. »Ich glaube, du würdest vor den meisten anderen Leuten auch nicht anders dastehen. Das hier ist eine Welt…«,
er suchte nach Worten, blickte sich um, als könnten ihm die
Bäume und das All eine Antwort geben, »… eine vermauerte Welt.
Du weißt es selbst, wir haben oft genug darüber gesprochen. Alles hier sieht so schön und unbeschwert aus, wir fliegen mit
Schiffen durchs All und besiedeln Planeten… aber letztlich steht
doch alles unter Zwang. Man darf nicht zu viele Fragen stellen,
wenn man nicht auffällig werden will, und so ist es im Großen wie
im Kleinen. Jeder errichtet einen Schutzwall um sich, eine riesige
Mauer. Und die größte von allen ist die, mit der sich der Pusmoh
umgibt.« Sie nickte seufzend.
»Es gibt so viele Dinge«, fuhr er fort, noch immer mit leiser
Stimme, »über die man einfach nicht redet. Die unumstößlich
sind, weil jede zu viel gestellte Frage wieder neue Fragen aufwirft
und jede dieser Fragen einem zum Fallstrick werden kann. Was
die Großen tun, färbt letztlich auf die Kleinen ab.« Wieder warf er
einen Seitenblick in Richtung des wütend umherstampfenden
Griswold. »Viele sind so wie er. Eigentlich alle. Wir müssen uns
schützen, indem wir uns selbst so vermauert geben, wie die Welt
um uns herum ist.«
»Nein, du musst nicht wir sagen, Darius. Du bist zum Glück
nicht so.« Sie legte beide Hände auf seine Wangen und küsste ihn
dankbar.
Er nahm ihre Hände, küsste sie und sagte: »Langsam, Leandra.
Ich bemühe mich, aber du musst mir auch die Gelegenheit geben,
einmal nein zu dem sagen zu können, was du meinst oder zu fühlen glaubst. Wie war das nun mit der Königin?«
Leandra seufzte, holte tief Luft und fasste ihre Erlebnisse zusammen. »Ich habe Bilder wahrgenommen. Bilder im Trivocum,
die sie mir zusandte.
Sie waren zum ersten Mal bunt, so etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Ich meine, nicht richtig bunt, nicht so, wie die Welt
um uns herum. Aber trotzdem: sie hatten zum ersten Mal Farben.
Ganz zarte Farben, nicht nur dieses Rot, das ich bisher kannte.«
»Was habt ihr da zu tuscheln!«, maulte Griswold und baute sich
fordernd vor ihnen auf. »Darf ich das vielleicht nicht hören? Ist es
noch mehr von diesem Quatsch? Oder zerreißt ihr euch das Maul
über mich?«
Roscoe vermochte seine Wut nur mit Mühe zu unterdrücken.
»Geh irgendwo in eine Bar und besauf dich!«, sagte er, stand auf,
nahm Leandra am Arm und führte sie fort von Griswold.
»Ihr wollt mich einfach hier stehen lassen?«, rief er ihnen hinterher.
»Ja, genau! Bis du dich wieder auf deine Manieren besonnen
hast!.«, rief Roscoe zurück, dann hatten sie schon eine der kleinen Baumgruppen umrundet, mit denen dieser hübsche Park
ausgestaltet war, und Griswold aus den Augen verloren.
»Was ist, wenn er uns hier zurücklässt?«, fragte sie besorgt.
»Der ist nur sauer. Wahrscheinlich, weil er sich auf diese ganze
Sache eingelassen hat. Es ist höllisch gefährlich, und vielleicht
glaubt er inzwischen, dass zu wenig für ihn dabei herausspringt.
Oder er ist verärgert, weil er glaubt, er habe nur eine Spinnerin
gerettet.«
Sie blieb stehen. »Und du? Was glaubst
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