Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
ID-Card übertragen hatte und die noch üppiger werden
würde, schien ihn für den Moment ruhig zu stellen.
Aber es hatte sich etwas in ihrem Verhältnis geändert.
»Man lernt die Leute erst richtig kennen«, sagte Roscoe, als er
und Leandra sich wieder gemeinsam ins Krähennest verzogen
hatten, »wenn man mal in eine schwierige Situation mit ihnen
gerät. Dann zeigt sich, ob man sich auf sie verlassen kann.«
Leandra sah sich um, ob irgendwo ein Gerät eingeschaltet war,
über das Griswold sie belauschen konnte. Aber Darius hatte
gleich, als sie das Krähennest betreten hatten, jenen Schalter
umgelegt, mit dem sich alle Elektronik an diesem Ort stilllegen
ließ. Es war völlig dunkel um sie herum, nur das All schien durch
die Kuppel zu ihnen herein. Leandra liebte diese Atmosphäre der
Abgeschiedenheit und des Alleinseins mit dem All und mit Darius.
Und sie hätte es nicht empfunden, wäre da nicht dieses große
Vertrauen zu Darius gewesen, das immer noch wuchs. Welch ein
Glück, dass sie ausgerechnet ihm als Erstem begegnet war. Es
hätten auch Griswold, Vasquez oder Rowling sein können.
Dann wäre sie jetzt vielleicht schon an die Drakken ausgeliefert
oder tot.
Ihre Gedanken schweiften zu Ain:Ain’Qua. Er war auch ein
Freund, das stand außer Frage. Wie es ihm wohl ging? Sie spürte
ein wenig Sehnsucht nach dem großen, grünen Ajhan.
In seiner Gegenwart hatte sie sich sehr beschützt gefühlt.
»Giacomo!«, rief sie plötzlich. »Wir hatten eine Kontaktaufnahme mit ihm vereinbart!« Sie nestelte in ihren Taschen und förderte das Ei zutage. Hastig drückte sie die Tasten, und das kleine
Anzeigefeld des RW-Transponders leuchtete auf.
»Oje, das war gestern!«
Roscoe nahm ihr das Gerät aus der Hand und untersuchte es. Er
drückte ebenfalls einige Tasten, dann schüttelte er den Kopf.
»Nichts. Er hat sich nicht gemeldet. Das wäre sonst hier zu sehen.«
»Wirklich?« Sie nahm ihm den Transponder wieder ab und
starrte auf das erleuchtete Feld. »Kann es sein, dass das Ding
nicht funktioniert?«
Roscoe verzog den Mund. »Das glaube ich kaum. Kann sein,
dass Giacomo sich einfach nur verspätet hat. Wir sollten ihm noch
ein paar Tage Zeit geben. Im Augenblick können wir hier ohnehin
nicht weg. Vielleicht stellt er selbst fest, wie schwer es ist, sich in
Aurelia-Dio zu bewegen.«
Leandra schnaufte. Griswold war ihr plötzlich nicht mehr verlässlich genug, ihr wäre wohler gewesen, hätten sie Bruder Giacomo wieder um sich gehabt.
Aber sie würden noch Geduld haben müssen. »Was ist das nun
für ein Mann, der auf diesem Mond?«, wollte sie wissen.
Er lächelte. »Der Mann im Mond. Das ist ein uraltes Märchen.
Aus der Vor-Vergangenheit der Menschen.
Vielleicht ist das ja ein gutes Omen für uns.« Er schenkte ihr ein
Lächeln, das nur vom Halon erleuchtet wurde.
»Also, was diesen Mann angeht: Er ist Wissenschaftler, aber
von einer ungeliebten Fraktion. Er ist Xenosoziologe.
Eine ziemlich seltene Berufsgruppe. Er beschäftigt sich mit den
sozialen Aspekten fremder Lebensformen.
Mit denen der Leviathane.«
Leandra suchte in ihrem antrainierten Wissensschatz nach dem
Wort sozial und runzelte dann die Stirn. »Das klingt ein bisschen,
als wäre ich nicht die Einzige, die den Leviathanen mehr zutraut,
als nur dumm in den Halonringen herumzufliegen.«
»Nicht unbedingt. Auch Wesen mit sehr wenig Hirn haben ein
soziales Verhalten. Denk nur an Insekten. Aber ich wette, der alte
Knabe wird aufhorchen, wenn er hört, was du zu sagen hast. Er
ist kein Hüller, er arbeitet für eine Regierungsstelle. Aber er hat,
wenn ich recht orientiert bin, gute Kontakte hier. Wenn du seine
Neugier weckst, kann er vielleicht etwas für uns tun.«
Leandras Züge spiegelten Erleichterung. »Wirklich? Glaubst du,
er kann mich noch einmal zu der Königin bringen?«
Roscoe hob die Schultern. »Schon möglich.« Dann trübte sich
sein Gesichtsausdruck. »Ich weiß allerdings nicht, wie das Ganze
uns weiterbringen soll. Ich meine, bezüglich des Plans, einen Haifanten zu stehlen.«
Leandra zwinkerte ihm zu. »Mach dir keine Sorgen, Darius.
Nach allem, was ich gelernt habe, muss man nur weitermachen
und sich umsehen. Dann finden sich schon wieder neue Ansatzpunkte.«
Er nickte seufzend. »Na ja, vielleicht hast du Recht.
Übrigens: der Gute ist ein Ajhan. Die magst du doch, nicht
wahr?«
»Was? Wirklich?« Sie machte einen kleinen Satz auf seinem
Schoß. »Ich habe mich schon gefragt, wann ich endlich wieder
einen treffen
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