Hölle ohne Hintertür
hervor.
Tim war entsetzt. Dann zog er
ein Papiertaschentuch aus seinen Jeans, die ihm als Kopfkissen dienten, beugte
sich über Gaby und tupfte die Träne weg. Auch eine zweite, die aus dem anderen
Auge gekullert kam.
»Gaby, was ist los?«
»Nichts. Wieso?«
»Pfote! Bitte! Du bist total
verunsichert. Du weinst.«
»Ich... bin nur ganz furchtbar
traurig. Weil... Ich bin vorhin Alexander Korlitzer begegnet. Der tut mir so
Leid.«
Für einen Moment wusste Tim
nicht, wen sie meinte. Zwar haben TKKG im Allgemeinen denselben — kaum noch
überschaubaren — Bekanntenkreis; doch nicht jeder ist für jeden in gleicher
Weise interessant bzw. Objekt zwischenmenschlicher Zuwendung. Während Tim noch
die Liste der Bedauernswerten in Gedanken abklopfte, kam ihm Karl
unaufgefordert zu Hilfe.
»Du meinst doch den Blinden,
Gaby?«, forschte der Computerspezialist. »Den mit der schönen Labradorhündin
als Führhund.«
Gaby bestätigte. »Ja, den.
Oskar ist in Alina total verliebt. Das war der Anlass. Ich meine, dass ich den
Korlitzer kennen gelernt habe. Bei einem Hundespaziergang war das. Korlitzer
war erst sehr reserviert, ist dann aber aufgetaut. Wahrscheinlich, weil mir
sein Hund so gefällt. Alina vom Stöberhai — ein besonders intelligenter
Blindenhund. Aber dem Korlitzer geht es schlecht. Sieht total krank aus. Er
atmet auch ganz schwer, obwohl Alina ja immer sehr langsam mit ihm geht. Dabei
ist der Mann noch nicht alt.«
»Mitte vierzig, hast du
gesagt«, erinnerte sich Karl. »Ist er in ärztlicher Behandlung?«
»Ich glaube nicht. Er hat ja
keinerlei Kontakt zu irgendwem. Lebt völlig zurückgezogen. Nur für sich.
Verbitterter kann man nicht mehr sein. Dass er mit mir spricht und von sich
erzählt, darauf kann ich mir was einbilden.«
»Ist sicherlich wegen deiner
Stimme«, sagte Tim. »Süßer Glockenklang in den Ohren eines Blinden.«
»Nun übertreib aber nicht.«
Gaby lächelte.
»Hat er keine Familie?«, fragte
Klößchen.
»Niemanden. Auch keine Freunde.
Nur den Hund. Und Korlitzers Haus steht so abgesondert — wenn ihm mal was
zustößt, ein Schwächeanfall oder so, würde das niemand bemerken.«
»Wegen seiner Behinderung«,
sagte Tim, »hat er mein aufrichtiges Mitgefühl. Aber im Übrigen ist der Mann
reichlich verkorkst. Die meisten Blinden sind mobil und leben ihr Leben ganz
normal trotz der Behinderung. Mit einem so prachtvollen Führhund steht ihm doch
die Welt offen. Aber wie der sich verhält! Wer sich ständig im Mauseloch
verkriecht, wird irgendwann selbst zur Maus.«
»Er war nicht immer blind«,
sagte Gaby. »Es war ein Unfall. Vor zehn Jahren in einem Chemielabor, wo er
gearbeitet hat. War Chemiker. Den Schock hat er nicht verkraftet. Aber ich
glaube, es war nicht nur das. Da ist irgendwas passiert in der
Herkunftsfamilie, wofür er sich schämt. Jedenfalls ist ihm mal eine Bemerkung
rausgerutscht, die ich so verstanden habe. Es muss wohl seine Eltern betreffen.
Aber die sind schon lange tot. Und die Korlitzers sind auch nicht von hier,
sondern aus Dresden. Alexander kam her wegen seines Jobs.«
»Wir können uns ja um ihn
kümmern«, sagte Tim, war aber in Gedanken woanders, »bei Gelegenheit.«
Gaby nickte. »Unbedingt.«
»Jetzt müssen wir feststellen,
bei wem Martin weshalb bis zum Hals in der Kreide steht.«
Gaby wandte sich ihrem Freund
zu. »Muss das denn unbedingt sein?!«
»Wie bitte?«
»Ich meine, lass Martin doch
machen. Wenn er’s nicht sagen will, wird er schon wissen, warum. Einmischung
macht vielleicht alles nur schlimmer für ihn — und wer weiß, für wen noch.«
Fassungslos sah Tim sein
Traummädchen an. »Gabriele! Gaby! Pfote! Was ist los? Da spielt sich ein
Unrecht ab. Ein krimineller Vorgang, der zum Himmel stinkt wie ein Lungenkrebs
erzeugender Dieselmotor. Ein Verbrechen, Gaby! Und wir sollen uns abwenden? Das
kann doch nicht dein Ernst sein!«
Wieder schloss sie die Augen.
Sie lag auf dem Rücken und er konnte ihr schönes Profil bewundern. Aber ihre
Miene war alles andere als glücklich.
»Häuptling«, ihre Stimme war so
leise wie der Sommerwind in den Blättern, »da möchte ich nicht mitmachen.«
Tim traute seinen Ohren nicht.
Dann endlich begriff er, dass die Situation diesmal eine ganz andere war. Nicht
nur Martin — schlimmer noch! — , auch Gaby stand unter einem ganz
fürchterlichen Druck.
»Pfote.« Er sprach gedämpft.
»Jetzt will ich’s wissen. Was ist passiert?«
Sie wandte den Kopf ab. »Bitte,
frag mich nicht. Bitte!«
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