Hoellenengel
du ihm gegeben?«
»Ach, daran erinnere ich mich jetzt nicht. Können wir
nicht später darüber sprechen? Manchmal ist es echt ganz
schön schwierig, offen und ehrlich zu dir zu
sein.«
Víkingur schwieg und schaute seine Frau an.
»Warum glotzt du mich so an?«, fragte
Þórhildur.
»Ich bin einfach froh, dass du wieder da bist«, sagte
Víkingur. »Froh, dass du wieder so bist, wie es deine
Art ist. Du hast mir Angst gemacht. Es war, als wäre jemand
anderes an deine Stelle getreten eine unbekannte Person
anstelle der Frau, die ich liebe.«
»Bist du dir sicher, dass du mich liebst?«, fragte
Þórhildur. »Ich bin ein Mängelexemplar. Ich
bin eine unheimlich labile Person.«
»Musst du mich das fragen?«
»Ja.«
»Ich kenne niemanden, der frei ist von Schwäche, und das
Mängelexemplar ist mir nie zuvor begegnet, bis jetzt
plötzlich in Amsterdam. Und es ähnelt dir nicht im
Geringsten. Die Frau, die ich kenne, ist ehrlich und sagt immer die
Wahrheit. Wahrheit ist für mich Liebe.«
»Wie tugendhaft du bist. Du erwähnst weder schöne
Augen, eine schlanke Taille, straffe Brüste noch Kaffee, der
ans Bett gebracht wird.«
»Also dieser Kaffee ist nichts Besonderes«, sagte
Víkingur. »Aber ich meine das mit der Wahrheit
ernst.
Wenn die Wahrheit verloren geht, dann ersetzt auch kein Kaffee, den
man ans Bett bekommt, die Liebe. Entweder sagen wir uns immer die
Wahrheit oder nicht. Das ist Liebe. Wenn du den Rausch brauchst,
dann sag mir das.
Ich kann mit allem umgehen außer Unwahrheiten. Sei einfach
immer ehrlich zu mir. Das ist Liebe.«
»Das mache ich«, flüsterte
Þórhildur.
»Kann ich darauf vertrauen?«
»Ja, immer«, sagte sie. »Ich liebe dich, alter
Kerl. Sind wir jetzt wieder die besten Freunde auf der ganzen
Welt?«
»Ja, und auch darüber hinaus«, sagte
Víkingur.
Þórhildur lächelte ihn an.
In ihrer Tasche umklammerte sie ein Tütchen mit vierzehn
weißen Tabletten.
Fünfzehn
Dagný Axelsdóttir und Terje Joensen waren
Arbeitskollegen. Ihre Zusammenarbeit verlief reibungslos, aber
beide wollten die Zusammenarbeit so gering wie möglich
halten.
Dagný war der Auffassung, dass Terje die notwendige
Ernsthaftigkeit fehlte, um seinen Beruf einwandfrei zu
erledigen.
Terje war der Meinung, dass Dagný der Humor fehlte und damit
eine notwendige Fähigkeit, um die Realität im richtigen
Licht zu sehen.
Bei der Besprechung, die Randver geleitet hatte, war ihnen die
Aufgabe zugewiesen geworden, die nächsten Angehörigen der
Männer im Sommerhaus ausfindig zu machen, sie über die
Todesfälle zu unterrichten und sie dazu zu bekommen, die
Leichen zu identifizieren.
Sie saßen im Auto und schauten auf den Platz
Austurvöllur. Mitten auf der Grasfläche befand sich eine
korpulente Person, die eine Art elektrischen Staubsauger vor sich
herschob und außerdem einen Greifstock in der Hand hielt, um
damit Papiermüll aufzusammeln und in ein Fach am Staubsauger
zu stecken. Die Arbeit ging im Schneckentempo voran. Es wäre
einfacher gewesen, sich herunterzubeugen, um den Müll
aufzuklauben. Aber sicherlich schwerer. Mehr Arbeit.
»Das ist die Schwester«, sagte Dagný. »Das
muss sie sein.« »Sieht aus wie ein Kerl«, sagte
Terje. »Mann, was für ein Fleischberg.«
Sie stiegen aus dem Auto aus und gingen in Richtung der Frau mit
dem Staubsauger und dem Greifer.
»Guten Tag«, sagte Terje. »Bist du Norma
Baker?«
Die Angesprochene nahm ihre Ohrenschützer ab und schaltete
ihre Maschine in den Leerlauf.
»Was will denn die Polizei von mir?«, fragte Norma,
nachdem sie ihre Ausweise betrachtet hatte. Sie schaute sich
betreten um, wie jemand, der sich schämt, in solch
zweifelhafter Gesellschaft gesehen zu werden.
»Du hast einen Bruder, der Jóhann Breki Baker
heißt«, sagte Dagný. »Manchmal >der
Bäcker< genannt.«
»Ja, das ist richtig«, sagte Norma. »Aber er hat
sein ganzes Leben lang nichts anderes gebacken bekommen als
Unannehmlichkeiten.«
»Jetzt bäckt er jedenfalls nichts mehr«, sagte
Dagný.
»Wir sind gekommen, um dir mitzuteilen, dass dein Bruder
Jóhann Breki verstorben ist.«
Die erste Reaktion der Frau ließ nicht darauf
schließen, dass sie der Verlust des Bruders schwer traf. Sie
schaute abwechselnd Dagný und Terje an und kniff die Augen
zusammen, als erwartete sie, dass sie die Masken abnähmen und
ihr sagten, dass es sich um einen verspäteten Aprilscherz
handele.
»Warum teilt mir das die Polizei mit?«, fragte
Norma.
»Wenn
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