Hoellenengel
Aufputschmittel zu nehmen, selbst wenn
du sie benötigen solltest?«
Þórhildur dachte nach: »Weißt du, ich
glaube, ich wäre schon lange durchgedreht oder in der
Psychiatrie gelandet, wenn ich nicht ein paar Tabletten gehabt
hätte, um mir zu helfen, sodass ich es für ziemlich
fragwürdig halte, den Medikamentenkonsum für diesen
Vorfall verantwortlich zu machen. Wir waren einander so fern, wir
haben nicht mehr miteinander geredet, alles wegen dieser Situation
mit Magnús.«
»Ja, aber ...«, sagte Víkingur.
»Lass mich bitte ausreden«, sagte sie. »Ich
weiß, dass es meine Schuld war. Ich habe mich in mein
Schneckenhaus zurückgezogen, wollte oder konnte dich nicht mit
diesen Sorgen belasten.«
»Mein Schatz«, sagte er und umarmte sie. »Wir
müssen miteinander reden können. Du musst mir sagen, was
du denkst. Wir müssen zusammenhalten.«
»Das weiß ich«, sagte Þórhildur.
»Manchmal wird man aber in sich selbst eingeschlossen wie ein
Tier in einem Käfig. Ich muss mit dir sprechen
können.«
»Wir sprechen doch gerade miteinander«, sagte er.
»Du darfst dich nicht abkapseln. Wir schaffen das
zusammen.«
Sie lächelte und Víkingur spürte die Eisnadeln in
seiner Brust schmelzen. Seine Frau strahlte. Sie schien wieder sie
selbst zu sein.
»Aber«, sagte er, »brauchst du denn keine Hilfe?
Einen Entzug? Oder kann dir mit irgendeiner Beratung geholfen
werden?«
»Du hilfst mir«, sagte sie. »Wir halten zusammen.
Ich brauche niemand anderes als dich.«
»Ich habe einfach so wenig Ahnung von
Abhängigkeit«, entgegnete er.
»Du hast Ahnung von mir«, sagte sie. »Ich werde
auch einen Termin bei den Anonymen Alkoholikern machen, wenn ich
Zeit dafür habe. Die haben viele gute
Berater.«
»Das gefällt mir«, sagte Víkingur.
»Zögere es nicht hinaus. Mach am besten noch heute einen
Termin.«
»Heute nicht«, sagte Þórhildur.
»Heute wird ganz schön anstrengend. Mindestens drei
Obduktionen erwarten mich. Zu dumm, dass ich gestern nicht mit dir
gefahren bin, um den Tatort anzusehen. Aber das ist ja hoffentlich
alles von vorne bis hinten abfotografiert worden. Kannst du mir die
Tatort-Fotos schicken lassen, sobald du da bist?«
»Ja, natürlich. Außerdem war ja auch noch der da,
der dich vertreten sollte, während du im Ausland warst. Wie
heißt er noch?«
»Svenni, also Sveinn heißt er. Er ist ein fähiger
Kerl, auch wenn er vielleicht ein bisschen wie ein Sonderling
wirkt. Er ist nicht direkt mein Stellvertreter, sondern er macht
bei mir eine Fortbildung in forensischer Medizin.«
»Auf jeden Fall hat er den Stock gesehen, der Elli vom
Octopussy hinten reingeschoben worden ist. Kommt das Pfählen
irgendwie in Mode in den gewalttätigen
Kreisen?«
Þórhildur sah ihn überrascht an, also
erklärte Víkingur ihr das Wichtigste, was sie bei der
Untersuchung des Tatorts gestern herausgefunden hatten.
»Wir können nicht ausschließen, dass es sexuelle
Motive gibt«, sagte Víkingur. »Viele bringen
Elli vom Octopussy mit Prostitution und Sklavenhalterei in
Verbindung.«
»Und der Sturmtrupp kriegerischer Feministinnen wollte ihm
die Gelegenheit geben, auszuprobieren, wie das ist, sich einen
Fremdkörper in den eigenen Körper stecken zu
lassen«, sagte Þórhildur und
schauderte.
» Cherchez les
femmes? «, fragte Víkingur.
»Wohl kaum.
Verbrechen sind immer noch ein Gebiet, auf dem Männer die
Regie führen und Frauen die Nebenrollen spielen.
Genau wie in der Politik oder in der Geschäftswelt. Ohne dass
ich etwas ausschließen kann, ist es doch am
wahrscheinlichsten, dass das mit Streitigkeiten um Drogenhandel
oder -schulden zusammenhängt.«
»Wo wir von Schulden sprechen, da gibt es noch etwas, was ich
dir noch nicht gesagt habe«, sagte Þórhildur.
»Ich habe einen kleinen Kredit aufgenommen, um eine Sache
wieder hinzubiegen.«
Víkingur war bass erstaunt.
»Du musstest einen Kredit für die Drogen
aufnehmen?«
»Nein, du verstehst mich falsch. Ich habe den Kredit für
Magnús aufgenommen. Ihm waren irgendwelche
Übeltäter auf den Fersen.«
»Ich kann es nicht fassen«, sagte Víkingur.
»Warum hast du mir nichts davon gesagt? Geldeintreiber soll
man nicht bezahlen, sondern sie anzeigen.«
»Hätte ich mich weigern sollen, meinem Sohn zu helfen,
und ihm sagen, er solle sich an die Polizei wenden?«, fragte
Þórhildur. »Ich habe nur getan, was jede andere
Mutter auch tun würde. Sie hätten ihn umgebracht, wenn er
nicht bezahlt hätte.«
»Wie viel Geld hast
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