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Hoellenengel

Hoellenengel

Titel: Hoellenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thráinn Bertelsson
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mir irgendeine Veränderung
bemerkt?«
    »Nein, natürlich nicht. Außer vielleicht, dass du
in den letzten Wochen eher düsterer Stimmung
warst.«
    »Es ist nicht, dass ich selbst Medikamente missbraucht habe.
Es hat andere Gründe.«
    »Ja, natürlich. Das mit Þórhildurs Sohn und
den ganzen Sorgen.«
    Die ganzen Sorgen. Ja, das war richtig. Soweit es eben
ging.
    »So, mein Lieber«, sagte Víkingur. »Ich
mache mich mal schnell auf den Weg zurück ins Krankenhaus. Ich
bin schon länger hiergeblieben, als ich
wollte.«
    »Was wirst du denn in der Angelegenheit mit deiner Stelle
unternehmen?«, fragte Randver.
    »Überhaupt nichts. Wenn ich abgelöst werden soll,
weil ich Medikamente nehme, dann soll das so sein. Ich mache nichts
in der Angelegenheit. Ich habe mich um anderes zu
kümmern.«
    »Das stimmt natürlich, aber denk mal drüber nach,
wenn du Zeit hast. Das kann man doch so nicht
hinnehmen.«
    »Das Leben ist, wie es ist; nicht unbedingt so, wie wir es
haben wollen.«
    »Das kann gut sein, aber man muss trotzdem versuchen, seine
klare Linie beizubehalten.«
    Víkingur stand auf und lächelte.
    »Wir bleiben in Kontakt.«
    »Ja, bleiben wir«, sagte Randver und blickte
Víkingur nach, der mit hängendem Kopf davonging. Auch
wenn ihr Gespräch für kurze Zeit aufgelebt war, solange
es sich um die Mordfälle drehte, hatte Randver es nie schwerer
gefunden, eine Verbindung zu seinem Freund herzustellen.
    *****
    Alles nimmt ein Ende. Auch das Warten darauf, dass
Þórhildur aufwachen möge.
    Víkingur wich nicht von ihrem Bett, außer die kurzen
Male, wenn die Krankenschwestern ihm geradezu befahlen, aufzustehen
und sich zu bewegen. Auch dann verließ er das Krankenhaus nur
widerwillig, tat so, als mache er einen Spaziergang, schlich sich
aber in den Aufenthaltsraum und versuchte, die Zeit totzuschlagen,
indem er desinteressiert im Internet herumklickte.
    Er schämte sich dafür, dass er das Wort
»Koma« bei Google eingab, und blickte sich verlegen um,
als mache er sich einer unsittlichen Handlung schuldig.
    Laut Guinness-Buch der Rekorde hat niemand länger im Koma
gelegen als Elaine Esposito. Im Alter von sechs Jahren musste sie
sich einer Blinddarmoperation unterziehen, das war am 6. August
1941. Sie verstarb am 25. November 1978, im Alter von
vierundvierzig Jahren, und war nach der Narkose nie mehr
aufgewacht. Das Koma dauerte siebenunddreißig Jahre und
einhundertelf Tage.
    Ein anderer US-Amerikaner, Terry Wallis, erwachte am 11. Juni 2003
aus dem Koma, in dem er fast zwanzig Jahre lang gelegen hatte. Er
glaubte, er sei immer noch neunzehn Jahre alt und Ronald Reagan
wäre Präsident der Vereinigten Staaten.
    Þórhildur starb, nachdem sie fast zwölf Tage und
Nächte im Koma geruht hatte. Sie starb, ohne noch einmal zu
Bewusstsein gekommen zu sein. Ihr Herzschlag war
unregelmäßig, und je länger sie im Koma lag, desto
trüber wurden die Aussichten auf Genesung. Ganz langsam ebbten
ihre Kräfte ab, obgleich die Ärzte alles zu tun
versuchten, was in ihrer Macht stand.
    Als Víkingur auf seinem Weg aus dem Krankenhaus den Gang
entlangtrudelte, hörte er Lärm aus dem Aufenthaltsraum
der Patienten: Der Tag hatte sich dem Abend zugeneigt. Im Fernsehen
begannen die Nachrichten.

Dreiundzwanzig
    Víkingur maß die vergehende Zeit, indem er sein
Gesicht betastete. Eine Rasur reichte für zwei Tage und zwei
Nächte. Die Dunkelheit hatte Sommerferien und die Nächte
waren in Tageslicht gebadet.
    Er ging nicht ans Telefon und nicht zur Tür, außer wenn
er Randver oder Hinrik erwartete. Randver kam mindestens zweimal am
Tag, manchmal öfter. Hinrik kam in der Mittagspause oder
morgens zu der Zeit, zu der sie sich normalerweise im Fitnessstudio
getroffen hatten.
             
    Hinrik war sein ältester Freund. Ein Psychiater.
    »Ich wähle die Wissenschaft, du den Glauben«,
sagte er, als ihre Wege sich nach dem bestandenen Abitur trennten,
und schrieb sich an der medizinischen Fakultät ein,
während Víkingur sich für die Theologie entschied.
Beides war jetzt wenig nützlich, der Glaube und die
Wissenschaft. Der Glaube war aus seinem Leben verschwunden. Er war
so lange glücklich gewesen, dass er aufgehört hatte, an
Gott zu glauben, und die Depressionen hielt Hinrik mit Medikamenten
in Schach.
    Víkingur wusste, dass der Glaube mit dem Beten kommt, aber
er konnte sich nicht aufraffen, es zu versuchen. Er genierte sich,
wahrscheinlich vor sich selbst, und konnte sich nicht dazu
durchringen, um die

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