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Hoellenengel

Hoellenengel

Titel: Hoellenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thráinn Bertelsson
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ein?«
    »Unterordnung?«
    »Ich habe mir schon gedacht, dass du etwas in die Richtung
sagen würdest. Früher wurde der Begriff
CoAbhängigkeit eigentlich ausschließlich für die
Angehörigen von Alkohol- bzw. Drogenkonsumenten verwendet und
bedeutete, dass der Co-Abhängige sich zum Teil selbst für
das Verhalten des Süchtigen verantwortlich machte und alles
tat, um ihn friedlich zu stimmen. Die Definition ist heute viel
weiter gefasst. Das erste Symptom ist nicht Unterordnung, sondern
Herrschsucht. Seltsam, aber Co-Abhängigkeit zeigt sich oft im
starken Bedürfnis, seine nächste Umgebung, seinen
Partner, Kinder, und Kollegen zu kontrollieren.
Co-Abhängigkeit ist es, wenn man glaubt, für alles
Mögliche verantwortlich zu sein. Kennst du
das?«
    »Ich bin nicht co-abhängig«, sagte
Víkingur. »Þórhildur war nur während
eines ganz kleinen Teils unserer Beziehung süchtig, einige
Wochen höchstens.«   
     
    »Co-Abhängige sind in der Regel vollkommen blind
für alle Anzeichen von Co-Abhängigkeit, wenngleich die
meisten anderen sie klar erkennen können.«
    Víkingur zuckte mit den Schultern.
    »Was für eine Milchmädchenrechnung ist das
denn?
    Auf dieselbe Art und Weise könnte man alle, die sich für
gesund halten, als Kranke definieren.«
    »Nein«, sagte Hinrik. »Verleugnung ist in erster
Linie ein Zeichen für Abhängigkeit und
Co-Abhängigkeit. Ein Mann mit Blinddarmentzündung wird
nicht wütend, wenn er gefragt wird, ob ihm der Bauch
wehtut.«
    »Ich bin nicht wütend.«
    »Gut.«
    »Und ich bin nicht co-abhängig.«
    »Du bist immer noch derselbe Dickkopf.«
    »Also«, sagte Víkingur. »Was sagte der
Teufel noch mal, als er seine Großmutter
traf?«
    »Dass sie co-abhängig sei?«, fragte Hinrik und
begann zu lachen. »Nein, das traute er sich nicht zu sagen.
Er wusste, dass die alte Frau immer ausflippte, wenn er die
Wahrheit sagte.«
    Víkingur lächelte.
    »Warum sprichst du das an?«
    »Weil ich dich dazu bekommen möchte, mit mir zu
sprechen.«
    »Ja, entschuldige. Ich bin im Moment einfach nicht so richtig
in Plauderstimmung.«
    »Ich habe mich vielleicht umständlich
ausgedrückt«, sagte Hinrik. »Ob man
co-abhängig ist oder nicht, kommt vielleicht aufs Gleiche
heraus, aber man muss akzeptieren, dass es für alles bestimmte
Grenzen gibt.«
    »Zitiert der Doktor da das
Gelassenheitsgebot?«
    »Wie meinst du das?«
    »Dass man sich mit dem abfinden soll, was man selbst nicht
verändern kann.«
    »Mit sich selbst im Reinen zu sein und von sich selbst nicht
zu viel zu erwarten, ist sehr wichtig. Man muss das loslassen
können, was man nicht festhalten kann.«
    »Das ist völlig richtig«, sagte Víkingur.
»Man kann ja die meisten Dinge akzeptieren. Man lernt, sich
mit seinen Fehlern und sogar den Fehlern anderer zu
arrangieren.
    Trotzdem glaube ich, dass es schwer ist, es von ganzem Herzen
gutzuheißen, wenn einem alles genommen
wird.«
    Die Trauer erfüllte den Raum.
    Hinrik schwieg geraume Zeit und stand dann auf und legte die Hand
auf die Schulter seines Freundes.
    »Ich schaue vielleicht heute Abend noch mal bei dir
vorbei«, sagte er.
    »Nein, mach dir keine Umstände«, sagte
Víkingur.
    »Du hast dich schon genug um mich gekümmert. Ich danke
dir dafür.« »Ich kann dir auf jeden Fall etwas
mitbringen, damit du schlafen kannst«, sagte Hinrik.
»Das macht mir nichts aus.«
    »Mit mir ist alles in Ordnung«, sagte Víkingur.
»Mach dir keine Sorgen. Schau einfach morgen mal vorbei, wenn
du mit der Arbeit fertig bist, falls du Zeit
hast.«
    »Abgemacht«, sagte Hinrik. »Aber du musst auch an
deine Ernährung denken.«
    »Mach ich«, sagte Víkingur und stand
auf.
    Hinrik hielt im Flur inne und wandte sich Víkingur
zu.
    »Ich weiß, dass es schwer ist, darüber zu
sprechen, was du durchmachst. Ich möchte nur, dass du
weißt, dass ich bereit bin, dir zuzuhören, sobald du
etwas erzählen möchtest. Bis dahin wird es eine schwere
Zeit für dich.
    Kannst du nicht wenigstens mit Gott sprechen, bis du so weit
bist?«
    »Gott ist leider tot«, sagte
Víkingur.
    »Jetzt überraschst du mich«, sagte Hinrik.
»Ich dachte, die Theologen zitieren nicht gern
Nietzsche.«
    »Ich habe überhaupt niemanden zitiert. Ich habe ihn
getötet.«
    Hinrik schwieg. Er glaubte zu wissen, was Víkingur
meinte.
    Sie waren Freunde.
    *****
    Die Tage vergingen wie im Nebel.
    Bis zur letzten Minute spielte Víkingur mit dem Gedanken,
nicht zur Beerdigung zu gehen. Es überstieg seine Kraft, sich
von

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