Hoellenengel
daran geben, dass er krank geworden ist.
Und er ist sehr krank.«
»Kann es nicht sein, dass Abhängigkeit ansteckend
ist?«, fragte Víkingur.
Þórhildur lachte. »Jetzt verstehe ich, worauf du
hinauswillst. Der Polizist sucht irgendeinen Schuldigen. Das
Problem ist nur, dass Abhängigkeit eine Krankheit und keine
Straftat ist. Versuch, das ein für alle Mal in deinen Kopf zu
bekommen.«
Es dauerte eine Weile, bis Víkingur seine Einstellung
geändert hatte und vielleicht war es ihm nicht
vollständig gelungen. Als er Brynjar auf der Beerdigung
begegnete, verspürte Víkingur Mitgefühl mit diesem
Mann, der strahlend lächelte, aber dessen Augen wie die eines
verletzten Tieres waren, das einen Fluchtweg sucht, aber keinen
findet.
»Der Pfarrer hat gut gesprochen«, sagte
Brynjar.
»Ja. Sehr gut«, bestätigte
Víkingur.
»Jedenfalls hat mir das jemand gesagt«, fuhr Brynjar
fort. »Ich selbst war in weiter Ferne und habe nichts davon
mitbekommen, was der Pfarrer gesagt hat.«
»Das ging mir genauso. Ich war auch weit
weg.«
»Seltsam, dass es vorbei sein soll.«
»Ich bin eigentlich ganz froh darüber, auch wenn ich
nicht weiß, was als Nächstes kommt«, sagte
Víkingur.
»Ich meinte eigentlich nicht das Begräbnis«,
erwiderte Brynjar. »Es ist nicht wichtig.«
»Entschuldige, was meintest du?«
»Magnús und Þórhildur. Dass sie von uns
gegangen sind. Jedenfalls Magnús, meine ich. Es ist nicht
so, dass ich viel von Þórhildur mitbekommen
hätte. Eigentlich von Magnús auch nicht. In letzter
Zeit. Wenn man es genau nimmt. Und dann ist man selbst
quicklebendig, obwohl ich schon seit langer Zeit tot sein sollte.
Kaffee und Zigaretten sind wohl das Gesündeste, was ich zu mir
nehme. Sagte Magnús. Er wusste, wie ich bin.
Þórhildur auch. Jetzt kennt mich niemand
mehr.«
»Es sind viele gute Leute hier um uns herum«, sagte
Víkingur und wunderte über sich selbst. Wollte er
diesem Mann Mut zusprechen, der in gewisser Weise ein ungebetener
Gast in seinem Leben war?
»Ja, das weiß ich«, sagte Brynjar. »Daran
mangelt es nicht. Ich weiß nicht einmal, wer diese Beerdigung
organisiert hat. Das ist wahrscheinlich alles an dir hängen
geblieben. Das wollte ich nicht. Ich wollte immer Kontakt
aufnehmen, aber ich habe es irgendwie nie geschafft aber was
die Kosten betrifft, will ich meinen Teil dazu beisteuern
für Magnús , das ist das Mindeste, was ich tun
kann.«
»Mach dir darüber keine Sorgen«, sagte
Víkingur. »Ich hatte eigentlich nicht mehr damit zu
tun, als darum zu bitten, dass keine Orgel gespielt
wird.«
»Ach so? Warum hast du das getan?«
»Wegen Þórhildur. Sie konnte Orgelmusik nicht
leiden ...«
»Ach so?«, wiederholte Brynjar. »Seit wann konnte
sie Orgel nicht leiden?«
Víkingur freute sich im Stillen, dass Brynjar keine Ahnung
von Þórhildurs Aversion gegen dieses großartige
Instrument hatte.
»Das weiß ich nicht. Jedenfalls seit wir uns
kennen.«
»So verändern sich die Menschen«, sagte
Brynjar.
»Aber es ist mein Ernst. Ich möchte die Hälfte der
Beerdigungskosten übernehmen. Definitiv.«
»Wir reden später darüber«, sagte
Víkingur. »Wir wollen uns jetzt nicht darum
kümmern.«
Brynjar hörte auf zu lächeln und nahm einen ernsten
Gesichtsausdruck an. Er senkte die Stimme, sodass Víkingur
sich vorlehnen musste, um zu hören, was er sagte.
»Ich will das so schnell wie möglich abschließen,
solange ich Geld in den Händen habe. Man weiß ja nie,
wie lange es mir erhalten bleibt. Ich möchte abrechnen, bevor
es verschwindet.«
»Das macht nichts«, sagte Víkingur. »Es
ist nicht wichtig.«
»Doch. Es ist sehr wohl wichtig. Magnús hat mir dieses
Geld gegeben. Er kam zu mir, vor etwas mehr als drei Monaten, mit
den Taschen voller Geld und bat mich, es für ihn
aufzubewahren. Seither habe ich ihn nicht mehr gesehen. Das Geld
habe ich nicht angefasst. Noch nicht.
Das Mindeste, was ich tun kann, ist, die Beerdigung mit diesem Geld
zu bezahlen. Magnús war kein Trottel. Er hätte in Geld
waten können.«
»War es viel Geld?«
Brynjar sah sich um, als wolle er sichergehen, dass niemand sie
belauschte. Dann flüsterte er so leise, dass Víkingur
die Antwort von seinen Lippen ablesen musste.
»Vier Millionen.«
»Wie bitte?«
»Ja, er kam zu mir und war sehr aufgeregt. Sagte, er habe
seine Behandlung gerade hinter sich und alle Drogenschulden
beglichen. Er sagte, er sei mit einem Mädchen verlobt und
dieses Geld
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