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Hoellenengel

Hoellenengel

Titel: Hoellenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thráinn Bertelsson
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auszuweichen versuchte, aber nicht schnell
genug war. »Du weißt, von welchem Fehler sie
sprach?«
    »Sie meinte wahrscheinlich die Anzeige, die heute in den
Zeitungen erschienen ist. Deine Stelle ist heute ausgeschrieben
worden«, antwortete Randver mit gequältem
Blick.
    »Warum bedauert sie das? Als würde es irgendeine Rolle
spielen.« Unzählige ausgestreckte Hände.
Unzählige Gesichter, die zusammenflossen in einen einzigen
ernsten, angespannten Mitleidsausdruck. Verwandte, Freunde,
Kollegen. Menschen, von denen er nicht wusste, dass er sie kannte.
Menschen, die er noch nie gesehen hatte. Was waren das für
Menschen? Vielleicht kannte Þórhildur sie.
    Zu spät, um sie zu fragen.
    Danke dir, danke dir.
    Eine Gruppe Geister, die einer anderen Welt angehörten als er.
Nimmt dieser Tag kein Ende?
    *****
    Es war Brynjar, der zu ihm kam. Natürlich hätte es
andersherum sein müssen.
    Man sah Brynjar nicht an, dass er sich gerade von der Mutter seines
Kindes und seinem einzigen Sohn verabschiedet hatte. Er
lächelte und begrüßte ihn mit beiden Händen.
Er war offenbar bis in die Fingerspitzen ein Partylöwe, und
trotz des traurigen Anlasses dieser Begegnung gelang es ihm, alle,
die er begrüßte, spüren zu lassen, dass die
Nähe jedes Einzelnen in seiner Erinnerung fortleben und ihm
Kraft gegen die Trauer spenden würde.
    Brynjar drückte Víkingur fest die Hand und umarmte ihn
anschließend. Víkingur war erstaunt, als er
feststellte, dass es ihm nicht missfiel. In dem Moment, wo er
Brynjar umfasste und spürte, wie dürr und schwach er war,
wurde ihm klar, dass der Mann kurz vor der Verzweiflung stand,
ungeachtet seines aufgeräumten Auftretens.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, sagte
Víkingur.
    »Außer, dass ich dir mein herzliches Beileid
aussprechen möchte.« »Ich danke dir.
Gleichfalls«, sagte Brynjar.
    Man konnte nicht behaupten, dass sie sich gut kannten, aber in den
vergangenen Monaten hatte Þórhildur ihren
früheren Ehemann wegen Magnús ein paarmal
kontaktiert.
    Brynjar war zweimal zu ihnen nach Hause in die
Mjóstræti gekommen und hatte sich dagegen
ausgesprochen, dass Þórhildur öffentlich nach dem
Jungen suchen lassen wollte.   
     
    »Er ist volljährig, der Junge, und er entscheidet
selbst, ob er sich bei seinen Eltern melden will oder nicht«,
sagte Brynjar. »Du standest doch damals auch nicht in
ununterbrochenem Kontakt zu deinen Eltern.«
    Víkingur fand den Gedanken, dass Þórhildur und
dieser Mann einmal verheiratet gewesen waren und eine gemeinsame
Vergangenheit hatten, jedes Mal aufs Neue seltsam. Brynjar teilte
Víkingur ungefragt mit, dass er wegen seines Drogenkonsums
arbeitsunfähig sei und sich in einem sogenannten
Substitutionsprogramm befände, was bedeute, dass er nach
Bedarf Methadon bekäme.
    Þórhildur sagte ihm, dass Brynjar sein Einkommen
aufbesserte, indem er Groschenromane aus dem Englischen für
irgendeinen kleinen Verlag übersetzte, der damit einverstanden
war, den Übersetzungslohn nicht beim Finanzamt anzugeben, um
das Sozialamt nicht durcheinanderzubringen. Darüber hinaus
pflege er normalerweise Beziehungen zu alleinstehenden Frauen,
solange deren Finanzen es zuließen.
    Ursprünglich hatte Víkingur es verlockend gefunden, das
ganze Unglück auf diesen Mann, der als Ehemann und Vater
vollkommen versagt hatte, zurückzuführen.
    Þórhildur merkte schnell, woher der Wind wehte, und
nahm sich Víkingur zur Brust. »Niemand will bewusst
vor die Hunde gehen und Brynjar hatte das bestimmt auch nicht vor.
Dass ich anfing, zu trinken und zu dopen, war nicht seine
Schuld.
    Ich habe mir einen Mann gesucht, von dem ich fand, dass er sich so
amüsieren konnte, wie ich es auch wollte. Ich war genauso
versessen auf den Rausch wie er, und es ist nicht mein Verdienst,
dass ich davon losgekommen bin und er nicht.«
    »Wenn doch die Misere deine eigene Schuld war, warum kannst
du dir dann nicht auch selbst danken, dass du den Charakter gehabt
hast, aufzuhören?«
    »Das hat mit Charakter nichts zu tun«, sagte
Þórhildur. »Niemand weiß, wie jemand es
schafft, von der Sucht loszukommen. Dasselbe gilt dafür, wie
Menschen süchtig werden. Manche sind von Anfang an dem Alkohol
verfallen, andere werden es peu a peu. Genauso ist es mit dem Ende
des Konsums. Manchen genügt es, den Job zu verlieren. Andere
verlieren eine Familie nach der anderen. Manche sinken so tief,
dass sie nie wieder auftauchen. Man kann Brynjar genauso wenig wie
anderen Kranken die Schuld

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