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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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wenn er uns heute sähe. Wir lügen, umschmeicheln, drohen und erzwingen, um die Menschen ins Verderben zu führen. Aber hat Gott das wirklich von uns gewollt? Warum verlangt er von uns Dinge, die er selbst niemals tun würde?“
    Eine eisige Stille breitete sich auf dem Berg aus. Tausende von Engeln starrten Raphael an, sprachlos und verwirrt.
    „Es gibt Menschen“, fuhr Raphael fort, „die glauben, dass Gott das Böse nur existieren lässt, weil das Licht eben den Schatten braucht, um wahrgenommen zu werden. Gäbe es das Böse nicht, würden die Menschen Gott und alles Gute auf der Welt nicht zu schätzen wissen. Aber wäre es wirklich so, müssten wir ja unterstellen, dass Gott eitel ist! Eine lächerliche Vorstellung!“
    Verwirrte Blicke gingen zwischen den zuhörenden Engeln hin und her. Einige nickten.
    „Warum also müssen wir diese gotteslästerlichen Taten vollbringen? Warum gibt Gott uns einen Befehl, durch den wir uns unweigerlich von ihm entfernen müssen?“
    „Du wirst uns die Antwort sicher gleich liefern“, erklang Asasels Stimme spöttisch aus der Menge. Doch niemand reagierte auf seine giftige Bemerkung. Sie alle starrten Raphael unverwandt an und warteten auf seine Meinung.
    „Die Wahrheit ist: ich habe keine Ahnung!“, fuhr Raphael leise und wie zu selbst fort. „Wenn ich nur wüsste, was… Gott…“
    Raphael stutzte. Eine Erinnerung durchzuckte ihn. Es war etwas, das Eleanor vor kurzem gesagt hatte. Zunächst nur vage und diffus, dann jedoch nahm die Erinnerung Gestalt an. Was genau war das gewesen? Wie hatte sie es ausgedrückt?
    „Entwicklung“, hatte sie gesagt. „Gott gibt Verantwortung ab. Er lässt den Dingen ihren Lauf und beobachtet. Hin und wieder greift er ein, wenn die Dinge einen falschen Verlauf zu nehmen drohen. Dann schickt er einen Engelboten oder einen Propheten. Aber eigentlich sieht er nur zu...“
    „Gott will, dass wir uns entwickeln…“, wiederholte Raphael wie zu sich selbst. Wie in Trance starrte er vor sich hin, sein Blick glitt ins Leere, während ihm Eleanors Worte durch den Kopf gingen. „Aber natürlich…“, stammelte er. „Gott ist doch unser Vater. Er will, dass wir eines Tages unsere eigenen Wege gehen. Deshalb konfrontiert er uns mit dem falschen Weg – um zu sehen, ob wir uns richtig verhalten. Wenn ein Kind sich von seinen Eltern löst, muss es eigene Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die von denen der Eltern abweichen können…“
    „Willst du uns etwa sagen, dass Gott nur darauf wartet, dass wir uns von seinem Befehl lossagen?“, erklang Asasels misstrauische Stimme. „Dass alles gut werden wird, wenn wir uns ihm nur verweigern?“
    „Ich weiß nicht, ob alles gut werden wird “, gab Raphael bedrückt zu. „Vielleicht ist uns der Weg in den Himmel für immer verbaut. Aber eines weiß ich sicher – Gott hat uns alles vermittelt, was wir wissen müssen. Wir können gut von Böse unterscheiden und wir wissen ebenfalls, dass Gott das einzig Gute ist. Wenn wir all das, wofür er steht, ehren wollen, müssen wir ihm nacheifern. Wir müssen uns dem Guten zuwenden und dürfen nicht länger zulassen, dass uns die Finsternis auffrisst.“
    „Du schlägst also vor, wir alle sagen uns von Gottes Auftrag los!“, warf Asasel mit einem herablassenden Lächeln ein. „Und dann? Was wird dann mit uns geschehen? Werden wir dann wieder das, was wir einst gewesen sind? Die strahlenden Engel des Herrn? Die, welche zu seinen Füßen sitzen dürfen? Sauber und unschuldig? Frei von Sünde?“
    „Ich weiß es doch nicht!“, rief Raphael zornig aus. „Was ich aber weiß, ist, dass ich Jahrtausende in der Dunkelheit meines eigenen Geistes gelebt habe. Und nun bin ich befreit worden! Befreit durch eine n Menschen! Ich trage keine Trauer mehr in mir. Und keinen Hass… so wie du, Asasel!“
    Raphael sah Asasel mit flammendem Blick an und ballte die Faust vor sich. Asasel starrte verwirrt zurück. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten fühlte er sich in die Enge getrieben.
    „Ich habe mich von Gottes Befehl abgewandt . Und ich bin bereit, für einen Menschen einzutreten. Für einen Menschen! Ich habe meinen Kniefall vor den Menschen vollzogen, weil ich bereit bin, sie als gleichwertig anzusehen! Und ich habe mich Gott schon lange nicht mehr so nah gefühlt!“
    Raphaels erregte Worte verhallten in den Ebenen unterhalb des Berges. Einen Augenblick lang herrschte völlige Stille. Dann brach ein unbeschreiblicher Lärm los. Abertausende von Engeln

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