Hoellenfeuer
Uriels Hand gegriffen. „Wir werden Eleanor das Gefühl geben, dass wir sie nicht vergessen haben und auf ihre Befreiung hin arbeiten.“
Dann war Raphael aufgebrochen.
Im Laufe der Jahrtausende war es nur selten vorgekommen, dass die Engel ein Konzil einberufen hatten. Wichtige Ereignisse mussten diesen Schritt rechtfertigen und noch nie war man leichtfertig mit einem solchen Aufruf umgegangen. Nun wurde schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage ein solches Konzil einberufen und dieses Mal ging der Ruf noch nicht einmal von Samael, dem Fürsten der gefallenen Engel aus. Doch der Aufruf Raphaels hallte durch die Welt der Engel, wurde von Mund zu Mund weitergegeben und drang so auch in den letzten Winkel einer jeden Engelsseele auf diesem Planeten.
Raphael wusste nicht, wie viele Engel seinem Aufruf Folge leisten würden. Doch er hoffte, dass genug zusammenkommen würden, um ihnen sein Anliegen vorzutragen und sie von der Wichtigkeit der Geschehnisse zu überzeugen.
Als er sich dem Sinai näherte, erkannte er bereits von weitem, dass seine Hoffnung nicht getrogen hatte. Aus allen Richtungen flogen Engel auf den Berg Gottes zu. Ein Glitzern, Flirren und Strahlen zog sich über den Himmel, wo immer Engelsleiber durch die Lüfte rasten. Langsam bildete sich wieder der gigantische Strudel aus Engeln über dem Gipfel des Gottesberges. Das Rauschen und Schlagen der Abertausenden von Schwingen erfüllte die Luft und die Erde tief unter ihnen erbebte vom Lärm der fliegenden Körper und den Stimmen der Engel.
Langsam setzte Raphael auf dem Gipfel auf, während um ihn herum der gesamte Berg an all seinen Flanken und Schluchten von Engeln bevölkert wurde. Er wagte kaum seinen Augen zu trauen – ohne den geringsten Zweifel waren zu diesem Konzil weitaus mehr Engel gekommen als noch bei dem letzten vor wenigen Tagen. Es dauerte eine Weile, bis Raphael begriff. Es mussten viele hundert Engel hinzugekommen sein, die bis vor kurzem ebenso wie er in völliger Apathie vor sich hinvegetiert hatten. Erst durch die Ereignisse der vergangenen Woche mit dem ergebnislosen Konzil Samaels hatten sie von ihren Brüdern Kenntnis davon erlangt, dass ein Mensch erschienen war, der vielleicht ihrer aller Rettung sein konnte. Nun waren sie gekommen, um mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören.
N ach und nach kehrte Ruhe ein auf dem Berg des Herrn. Raphael stand in der Mitte des Gipfels, während Tausende von Augen auf ihn gerichtet waren und ihn ruhig und erwartungsvoll ansahen.
„Brüder!“, rief er. „Engel des Herrn, hört mich an! Das letzte Konzil vor wenigen Tagen ist zu Ende gegangen, ohne dass eine Entscheidung getroffen worden wäre. Doch das hat Samael nicht daran gehindert, das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Während ich hier vor euch stehe, hat er sich mit Eleanor in seiner Festung verbarrikadiert um sie nach eigenem Ermessen selbst zu richten!“
Ein empörtes Raunen ging durch die Menge. Da für die meisten die Frage nach Eleanors Rolle als Erlöserin der Engel noch immer nicht geklärt worden war, stellte es in ihren Augen ein ungeheures Risiko dar, wenn einer der ihren über die Köpfe aller anderen hinweg diesen Menschen eliminierte. Wenn Eleanor tatsächlich mit den besten Absichten von Gott geschickt worden war, vernichtete Samael mit diesem Verhalten ihrer aller Zukunft.
„Brüder!“, fuhr Raphael fort. „Denkt nicht, dass es eine Schande wäre zu lieben, wie Samael euch weismachen wollte! Aber es geht hier und heute nicht darum, ob ich Eleanor liebe oder nicht! Es geht um die Frage, ob einer der unseren das Recht hat, einen Menschen zu töten, der nicht nur frei von Sünde ist, sondern zudem vielleicht in der Lage, unser aller Schicksal zu verändern. Ich kann euch nicht sagen, ob Eleanor von Gott gesandt wurde, um unsere Loyalität zu prüfen, oder ob sie uns erlösen soll, indem sie unsere Welt den Lebenden offenbart. Vielleicht ist sie auch überhaupt nicht von Gott gesandt, sondern ihre Fähigkeiten reiner Zufall, ohne Bedeutung für den Lauf der Welt und unser aller Geschick. Wer weiß das zu sagen? Aber wenn alles andere versagt und keiner von uns den rechten Weg zu sehen vermag, sollten wir uns dann nicht auf das verlassen, was unser Herz uns eingibt?“
„Was gibt dein Herz dir ein, Raphael?“, erklang eine Stimme aus der Menge. Tausende von Augen blickten dorthin, wo Asasel saß. Klein, verwachsen und mit finsterer Miene hockte er da und starrte mit stechendem Blick
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