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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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kanntest Jesus?“, entfuhr es Eleanor.
    „Oh ja“, hauchte Raphael und sein Blick schien in weiter Ferne zu verharren. „Ich traf ihn zweimal. Und beide Male wusste ich, dass er etwas ganz Besonderes ist...“
    „Wie kommt es, dass du ihn getroffen hast?“. Eleanor schrie die Worte fast, so unglaublich kam ihr vor, was Raphael ihr offenbart hatte. Raphael jedoch starrte noch einen Augenblick gedankenverloren vor sich hin. Dann plötzlich kräuselte sich seine Stirn. „Nicht jetzt“, antwortete er barsch. „Vielleicht ein andermal. Heute Abend ist es nicht wichtig.“
    Eleanor schnappte nach Luft. Sie stand im Angesicht eines 'Zeitzeugen' Jesu Christi und dieser weigerte sich, mit ihr über seine Erlebnisse zu sprechen. Es war schwer für sie, dass zu akzeptieren. Nur mit Mühe kämpfte sie ihre Enttäuschung nieder. Es schien ihr ungerecht, so nah an der Wahrheit vieler Dinge zu stehen und dennoch am ausgestreckten Arm zurückgehalten zu werden.
    „Sind Religionen also sinnlos?“, fragte sie schließlich.
    „Nicht unbedingt “, antwortete Raphael zögernd. „Sie geben den Menschen das Gefühl zusammenzugehören. Sie einen sie in einem Glauben, den sie sonst vielleicht verlieren würden, wenn sie sich stets alleingelassen fühlten. Aber dadurch, dass Religionen von Menschen gemacht und bestimmt werden, sind sie zugleich auch eine der größten Gefahren, wie du jetzt weißt. Du musst auch in einer Religionsgemeinschaft stets stark sein und dich gegen die Versuchungen erwehren, die falsche Propheten und Religionslehrer dir einzuflüstern versuchen. Angehöriger einer Religion zu sein, feit dich nicht vor Sünde, keineswegs.“
    Eleanor nickte nachdenklich. „Das verstehe ich gut.“
    „Komm“, sagte Raphael schließlich und nahm Eleanor wieder an die Hand. Gemeinsam gingen sie zum Eingang der Kirche zurück. Dort öffnete Raphael eine kleine Tür, hinter der eine enge Wendeltreppe nach oben führte. Raphael ging voran und so erklommen sie nacheinander den gedrungenen Kirchturm von Stratton. Als Eleanor schließlich durch die kleine Dachluke auf das zinnenbewehrte Flachdach des Turmes trat, war die Wolkendecke aufgerissen und zeigte einen tiefschwarzen Nachthimmel, an dem Abertausende von Sternen in weiter Ferne funkelten. Es roch noch immer feucht und klamm, doch das machte Eleanor nichts aus. Sie trat zu Raphael an die Brüstung des Turmes und blickte ebenso wie er auf die nächtliche Landschaft und das schlafende Dorf zu ihren Füßen. Eine Weile standen sie beide schweigend da und atmeten die frische Nachtluft ein. Dann wandte Raphael sich plötzlich zu Eleanor.
    „Ich werde nicht zulassen, dass er dich bekommt, Eleanor “, sagte er heftig. „Er wird dich nicht bekommen. Ich werde vor dir stehen.“
    Mit diesen Worten ergriff er Eleanors Hände und drückte sie leicht, wie um seinen Schwur zu bekräftigen.
    „Ich weiß “, flüsterte sie und der Boden schien unter ihren Füßen zu schwanken. Das ganze Universum drehte sich in diesem einen Augenblick allein um sie und dennoch stand die Zeit still und alle Lebewesen in Gottes Schöpfung hielten für einen einzigen Wimpernschlag lang die Luft an.
    Raphael ließ die Hand sinken und legte sie auf die steinerne Brüstung des Turmes neben sich. Ohne Eleanor aus den Augen zu lassen, drückte er seine Finger in den harten Stein, als wäre er aus Lehm. Drei Worte schrieb er in den Stein. Drei Worte, die Eleanor bis ans Ende ihrer Tage nicht vergessen würde: Semper tuus sum – Auf ewig Dein.
     
    Es war weit nach Mitternacht, als Eleanor wieder in ihrem Zimmer ankam. Sie hatten den Weg von Stratton zurück ins Sanatorium beinahe schweigend Hand in Hand zurückgelegt. Raphael hatte sie durch ihr offenes Fenster zurückgebracht und nun saß er auf dem Fensterbrett und beobachtete Eleanor.
    „Hab keine Angst, heute Nacht “, sagte er. „Ich werde auf meinem Zimmer sein. Aber ich werde es spüren, wenn jemand mit bösen Absichten in dein Zimmer eindringt. Wenn du mich rufst, werde ich da sein, Eleanor.“
    Eleanor nickte. Raphael zwinkerte ihr noch einmal schelmisch zu. Dann ließ er sich vom Fensterbrett hinab in den Garten fallen und war kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden.
    Eleanor schloss das Fenster und machte sich bettfertig. Ihre Gedanken drehten sich um Raphael und seine Welt. Nun war sie selbst ein Teil dieser Welt und alles hatte sich verändert. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie schon seit Tagen nicht mehr an all die Ereignisse gedacht

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