Hoellenfeuer
und Regen.
„Hallo, Eleanor “, begrüßte Schwester Veronica die neue Freundin ihrer Tochter. „Schön dich kennenzulernen. Ich hatte in letzter Zeit nicht genug Kontakt zu deiner Abteilung, um dich schon mal gesehen zu haben. Aber das wird sich wohl bald ändern. Ich habe gerade eben erst erfahren, dass ich kommenden Monat zu euch verlegt werde.“
„Schön “, antwortete Eleanor etwas betreten, während sie Veronica die Hand gab. Schwester Veronica war eine große, blonde Frau in den Vierzigern, die ein freundliches Lächeln hatte, aber auch etwas Resolutes in ihrer Mimik und Stimme in sich trug. Eleanor konnte sich gut vorstellen, dass sie zwar ein freundliches Wesen hatte, aber die Jahre in Stratton Hall sie gezwungen hatten, auch eine harte und starke Seite zu entwickeln.
„Dann mal rein mit euch, Mädels “, sagte Schwester Veronica.
Bess lief um den Wagen herum und setzte sich auf den Beifahrersitz, während Eleanor auf der Rückbank Platz nahm. Mit einem ungesunden Geräusch sprang der Motor an und Veronica ließ den kleinen Wagen mit einem plötzlichen Satz aus der Parklücke zurückspringen. Offenbar eine impulsive Fahrerin, dachte Eleanor. Sie würde sich während der Fahrt in die nächste Kreisstadt Bude irgendwo unauffällig festhalten müssen.
Tatsächlich knirschte der Kies unter den Reifen und das Wasser aus den Pfützen der Zugangsstraße spritzte zu beiden Seiten des Fahrzeugs weg, während Veronica lässig und mit viel zu hoher Geschwindigkeit durch den Park von Stratton Hall lenkte. Erstaunlich schnell hatten sie das schmiedeeiserne Eingangstor erreicht und der kleine Wagen bog so schnell nach links auf die Landstraße ein, dass Veronica unmöglich nach freier Fahrt hatte gucken können. Eleanor konnte sich nicht erinnern, den Blinker in Aktion gesehen zu haben.
Die dunklen Bäume flogen zu beiden Seiten des Fensters vorbei und in kurzer Zeit kamen die Häuser von Stratton in Sicht. Eleanor wusste nicht, wie lange sie vergangene Nacht mit Raphael für diesen Weg benötigt hatte. Doch im Vergleich zu dieser wilden Fahrt, schien es ihr eine Ewigkeit gedauert zu haben. Eine Ewigkeit an Raphaels Seite.
Veronica hatte ihr Tempo in der Ortschaft nur unwesentlich reduziert und kurz darauf fuhren sie bereits auf der Landstraße nach Bude.
„Hatten sie heute Nachtdienst?“, fragte Eleanor nach einer Weile, um die Stille zu durchbrechen.
„Ja, leider “, erwiderte Veronica. „Bess kam heute Morgen mit dem Bus vorbei und da haben wir ganz kurzfristig beschlossen, heute in die Stadt zu fahren. Es ist schön, dass du dabei bist. Auf dem Rückweg gabeln wir dann noch jemanden auf. Mein Sohn Michael ist heute auch in Bude unterwegs. Wir treffen uns gegen vierzehn Uhr mit ihm.“
Eleanor nickte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Bess auf dem Beifahrersitz schräg vor ihr den Türgriff genauso fest umklammert hielt, wie sie selbst. Beruhigend, dachte sie, dass nicht nur ich diese Fahrt als rasant empfinde.
Bei Veronicas Fahrstil hätte die Fahrt nach Bude eigentlich kaum mehr als fünf Minuten in Anspruch sollen. Tatsächlich kamen sie jedoch erst eine halbe Stunde nach ihrem Aufbruch von Stratton Hall in Bude an. Sie waren zwischendurch einem Streifenwagen begegnet, dessen Insassen Veronicas Fahrweise ebensowenig gefiel wie Bess und Eleanor. Immerhin kannte man sich als Ortsansässige schon gegenseitig zu Genüge (Auf der Polizeistation von Bude kursierten zahllose Witze über Veronica Jones' Auto und ihren Umgang mit demselben). So blieb es bei den üblichen Ermahnungen und Ratschlägen – gute Nachbarschaft ist eben unersetzlich.
Eleanor blieb dieser Tag jedoch in unvergesslicher Erinnerung. Sie schlenderten zu dritt durch die Altstadt des kleinen Städtchens, blickten in Schaufenster, aßen zusammen Eis und spazierten die Uferpromenade entlang. Der Atlantik war heute durch den frischen Wind aufgewühlt und unruhig. Die schweren, grauen Wogen brachen sich an den granitenen Steinen des Kais, krachten und schlugen mit ungeheurer Kraft auf das Land ein. Die Gischt spritzte mit jeder Welle meterhoch empor und hüllten die Stadt in ein beständiges Rauschen und Donnern, das immer wieder von den rauen, traurigen Schreien der Möwen durchbrochen wurde. Zahlreiche Einwohner und Touristen hatten sich heute an die Uferpromenade begeben, um diesem Schauspiel beizuwohnen. Man lachte und scherzte. Die älteren Jungs der Umgebung suchten ihren Mut dadurch zu beweisen, dass sie sich so nah wie möglich
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