Hoellenfeuer
wie wir jetzt wissen. Und weil eine Seele nur aus Gefühlen besteht, kannst du spüren, was in diesen Geistern vorgeht.“
Eleanor sah Raphael ungläubig an. Mit zitternden Fingern zeigte sie zurück in die Richtung des Burgberges. „Ich habe eben nur wenige Augenblicke vor diesem Geist gestanden und gespürt, was er immer zu fühlen muss? Seit Hunderten von Jahren? Ohne Unterlass?“
Raphael nickte. „In jeder Sekunde fühlt er das, was du eben nur für einen kurzen Augenblick wahrgenommen hast.“
„Mein Gott!“, hauchte Eleanor. „Ich wäre vor Angst fast vergangen und dabei waren es nur wenige Sekunden! Wie ertragen die Geister dieser Menschen das?“
„Sie tun es nicht!“, antwortete Raphael bestimmt. „Sie sehnen sich nach einem Gott, den sie nicht erreichen können und klammern sich an Hoffnungen, die sich nicht erfüllen werden. Die meisten von ihnen werden irgendwann wahnsinnig. Oder apathisch. Ebenso, wie ich es gewesen bin…“
Den letzten Satz hatte Raphael nur geflüstert und mehr zu sich selbst gesprochen. Doch Eleanor hatte ihn genau gehört.
Sie sah ihn entsetzt und verstört an, dann wandte sie sich langsam um und ging in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war. Raphael blickte ihr einen Moment lang unschlüssig und irritiert nach, dann folgte er ihr.
„Wo willst du hin?“, fragte er.
„Zurück! Zurück zum Burgberg!“, sagte Eleanor entschlossen.
„Was willst du dort? Wir wissen doch jetzt, dass du Geister sehen kannst.“
Eleanor schritt zügig voran und würdigte Raphael keiner weiteren Antwort. Sie blickte starr geradeaus und beschleunigte ihren Schritt. Raphael hielt sich wortlos an ihrer Seite und sah sie neugierig an. Nach einigen Minuten hatten sie den kleinen Burgberg wieder erreicht, von dem Eleanor eben erst so überstürzt davongerannt war. Zielstrebig kletterte Eleanor über die großen Steinbrocken an seiner Ostseite, bis sie das Loch wiedergefunden hatte, von dem aus man in das Kellergeschoss einsteigen konnte. Ohne sich noch einmal nach Raphael umzusehen, betrat sie ein zweites Mal die Finsternis des kurzen Ganges ins Innere des Berges. Kurz darauf stand sie wieder in der Kammer. Diesmal brauchte es ein wenig länger, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten und sie die ersten Konturen der gemauerten Decke und des Pfeilers in der Mitte der Kammer wahrnehmen konnte. Doch schon vorher spürte sie eine Welle der Angst und der Verzweiflung, die aus dieser Kammer kam und ihr die Luft zum Atmen zu nehmen drohte.
Dann sah sie den hellen Schatten. Er kauerte wieder an der Seite des Pfeilers und wiegte sich hin und her wie ein Kind, dass vor Angst und Einsamkeit nicht weiß, was es tun soll.
„Seid ihr William Foltridge?“, fragte Eleanor mit einer Stimme, die fest klingen sollte und doch das Zittern nicht zu unterdrücken vermochte.
Der Schatten hörte auf, sich zu wiegen. Er wandte sich zu ihr zu, dann stand er auf.
„Ja… so hat man mich genannt “, erklang die Stimme aus der Ferne. „Beim Herrn und all seinen Engeln, wer seid ihr?“
Der blasse Schatten bewegte sich auf Eleanor zu und eine neue Welle der Angst, Verzweiflung und Trostlosigkeit wallte durch die Kammer. Doch da war noch etwas anderes, ein neues Gefühl. Verwirrung. Unsicherheit.
Eleanor spürte die Hand Raphaels auf ihrer Schulter. Wie von selbst wanderte ihre Hand zu der seinen und hielt sie fest.
„Ich bin Eleanor Storm. Ich bin hier, um dich wissen zu lassen… dass du nicht vergessen worden bist…“
Einen Augenblick lang war es völlig still in der Kammer. Dann plötzlich spürte Eleanor etwas Neues. Ein Gefühl von Dankbarkeit. Ihr schossen die Tränen in die Augen.
„Ihr wisst nicht, wie viel mir eure Worte bedeuten, Milady“, erklang die ferne Stimme. Wieder war es einen Moment lang ganz still.
„Ich wünschte, ich hätte dieses Kind nicht erschlagen!“, fuhr die Stimme schließlich leise und wie zu sich selbst fort. „Ich bereue es so sehr. Ich bereue es! Ich bereue es!“
Die letzten Worte hatte William Foltridge geweint. Der Schatten seiner Seele krümmte und wand sich. Eleanor wurde von einer Welle von Schuldgefühlen gepeinigt, die in jeden Winkel ihres Herzens drangen und auch sie in Tränen ausbrechen ließen.
Fragend blickte sie zu Raphael empor, doch dieser schüttelte langsam den Kopf. Wir können nichts für ihn tun, sagten seine Augen.
„Ich kann dir die Erlösung nicht bringen, nach der du dich sehnst“, sprach sie schließlich zu
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