Hoellenfeuer
Foltridge, der ein Mörder und Dieb war. Die Burg ist längst verfallen, doch im Kellergeschoss haust noch immer Williams Geist.“
„Es spukt in dem Hügel unter unseren Füßen?“, fragte Eleanor verängstigt und trat unruhig hin und her.
„Spuk gibt es nicht. Ich habe dir doch schon gesagt, dass Menschen Geister im Regelfall nicht sehen können. Geister können sich auch nicht anderweitig bemerkbar machen. Kein Geheule, Kettenrasseln oder Teller durch die Luft werfen. Das sind alles Ammenmärchen. Wenn eine Seele nach dem Tod des Körpers nicht zu Gott in den Himmel gelangen kann, sitzt sie für alle Zeiten hier auf der Erde fest. Für den Toten ist das im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle auf Erden, denn er kann nun an seinem Schicksal nichts mehr ändern. Er kann seine Fehler nicht mehr korrigieren, weil er mit den Lebenden keinen Kontakt aufnehmen kann. Sie können ihn nicht hören und er kann auch sonst in keiner Weise auf Materie einwirken.“
Mit diesen Worten ergriff Raphael wieder Eleanors Hand und zog sie sanft hinter sich her. Sie überquerten den Hügel und gelangten an dessen Ostseite, die von Trümmern und Felsblöcken übersät war. Raphael ging zielstrebig auf zwei riesige Felsen zu, zwischen denen ein dunkles, unregelmäßiges Loch klaffte. Entschlossen ging Raphael durch die Öffnung hindurch und zog Eleanor mit.
Es war kühl im Inneren des Berges. Eleanor hatte befürchtet, hier durch ein Labyrinth von Gängen laufen zu müssen, doch sie gingen lediglich wenige Meter geradeaus, bis sie in einer Kammer standen, deren Kreuzgewölbe nur von einem einzigen mächtigen Pfeiler getragen wurde. Das Tageslicht von draußen reichte gerade eben so weit, dass Eleanor die Umrisse der Kammer erkennen konnte.
Da – hinter dem Pfeiler erkannte sie einen etwas helleren Umriss, der dem von Elizabeth glich. Er schien jedoch zu einer deutlich größeren Person zu gehören, die auf dem Boden kauerte und sich sanft hin und her wiegte.
„Ich kann ihn sehen!“, flüsterte Eleanor, während ihr Atem vor Angst flach und stoßweise ging. „Er ist dort drüben am Pfeiler.“
Eleanor deutete auf die Stelle, an welcher der helle Schatten hockte und Raphael lächelte sie fasziniert an. Dann nickte er.
In diesem Moment erhob sich der Schatten . Er schien einige Schritte auf die beiden zuzuwanken, während die Temperatur in der Kammer schlagartig um einige Grad abnahm und das Sonnenlicht hinter ihnen sich verdunkelte.
„Könnt ihr mich sehen?“, flüsterte eine ferne Stimme.
Eleanor schrie auf. Sie riss sich von Raphael los und rannte den Gang entlang nach draußen. Nur wenige Augenblicke später war sie im Freien, doch sie rannte weiter. Fort, nur fort von hier. Fort von dem unheimlichen Berg und dem grausigen Geist, der in seinem Inneren hauste.
Eleanor hätte nicht sagen können, wie weit sie schon gelaufen war, als Raphael an ihrer Seite auftauchte. Er hielt mühelos mit ihr Schritt, schien überhaupt nicht zu laufen, sondern eher zu schweben, doch Eleanor nahm diese Details in ihrer Panik nicht wahr.
„Ruhig Eleanor, ruhig “, sprach er sanft auf sie ein und ergriff ihre Hand. Eleanor blieb ruckartig stehen und blickte Raphael mit einem gehetzten, unruhigen Blick an.
„Er hätte mich fast gehabt “, keuchte sie. „Er stand schon ganz dicht vor mir!“
„Ich weiß “, sagte Raphael und sah sie verständnisvoll an. „Aber er hätte dir nichts tun können. Du hast nur seine Seele gesehen, sie hat keine Macht mehr in der Welt der Lebenden!“
Völlig verstört blickte Eleanor zu Boden. „Ich weiß. Du hast es ja gesagt. Aber er strahlte etwas aus, was mir Angst machte!“
Sie hob den Blick und sah ihn völlig verängstigt an.
Raphael atmete tief ein und blickte gen Himmel. „Hör mir zu, Eleanor. Was du im Angesicht der Seelen Verstorbener fühlst, sind genau die Gefühle, die der Geist fortwährend mit sich trägt. Keiner von ihnen ist doch freiwillig noch auf dieser Welt. Sie sind hier, weil die schlechten Taten, die sie im Leben begangen haben, sie das Licht Gottes nicht sehen lassen, in das sie zur Erlösung gehen müssen. Nun sind sie gefangen in einer Welt, die sie nicht mehr verändern können und die sie selbst nicht länger wahrnimmt. Zudem sind sie an den Ort gebunden, an dem ihre Seele den Körper verlassen hat. Sie sind zutiefst verängstigt, einsam, traurig und ohne jede Hoffnung. Das sind die Gefühle, mit denen sie tagein tagaus leben müssen. Du kannst ihre Seelen sehen,
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