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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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allerdings ein Punkt, mit dem Eleanor keine Probleme hatte. Je weniger sie von diesem ganzen Sanatoriumsquatsch mitbekam, desto besser war es in ihren Augen.
    Sie bedankte sich bei Schwester Emily und ging weiter. Auf dem Weg zu ihrem Zimmer durchquerte sie im Erdgeschoss erneut die große Eingangshalle. Dann stieg sie die große Freitreppe empor zum ersten Stock. Sie betrat den Ostflügel, in dem ursprünglich die Familie des Hausherrn gewohnt haben musste. Noch immer zeigten hier einige wenige Zimmer an Decken und Wänden wertvolle Holzvertäfelungen und wunderschöne Stuccaturen. Allein die Patientenzimmer waren heute schmucklos und öde. Ob im Laufe der Jahre hier aller Zierrat entfernt worden war, oder ob diese Raumfluchten nie vollendet worden waren, wusste Eleanor nicht zu sagen.
    Doch gleich das erste Zimmer, an dem man hinter der Treppe vorbeikam, war anders als alle anderen. Hier hatte der erste Hausherr eine Familienkapelle anlegen lassen. Zierliche Säulen in den Zimmerecken trugen ein einfaches Kreuzgewölbe, ähnlich jenem, das Eleanor heute im Burgberg gesehen hatte. Am Ende des Zimmers war ein buntes Glasfenster zu sehen, dass Jesus Christus am Kreuz zeigte. Davor standen noch immer der dreiflügelige Hausaltar und einige Bänke. Bis heute war die Funktion dieses Raumes als Hauskapelle nicht verändert worden.
    Zögernd trat Eleanor ein. Es war eine halbe Ewigkeit her, dass sie zum letzten Mal gebetet hatte. Sie musste noch ein kleines Mädchen gewesen sein. Damals hatte sie mit ihrer Mutter jeden Abend ein kleines Nachtgebet gesprochen, nachdem sie warm zugedeckt worden war und man ihr die allabendliche Gutenachtgeschichte vorgelesen hatte. Irgendwann war das in Vergessenheit geraten. ‚Wie konnte man Gott in Vergessenheit geraten lassen?‘, dachte Eleanor beschämt.
    Sie trat auf den kleinen Altar zu und plötzlich sank sie ganz selbstverständlich auf die Knie und faltete die Hände. Dann schloss sie die Augen und senkte den Kopf. Zunächst wusste sie nichts zu sagen. Erst allmählich formten sich in ihrem Kopf Gedanken, dann Wörter.
    „Lieber Gott!“, dachte sie. „Ich weiß, dass du mich hören kannst. Ich bitte dich, hab Gnade mit William Foltridge. Er hat sicher schlimme Dinge in seinem Leben getan. Aber ich weiß, dass er sie bereut und ungeschehen machen würde, wenn er nur könnte. Ich habe seine Angst gespürt und ich kann kaum glauben, dass er sie mehr als achthundert Jahre lang ertragen hat. Weißt du, mit welchen Worten er mich angesprochen hat? Er sagte ‚Bei Gott und all seinen Engeln‘. Herr, selbst wenn er zu Lebzeiten keinen Glauben an dich gehabt haben mag, so hat er ihn doch jetzt. Und ich bemitleide ihn. Er mag Trauer und Verzweiflung über seine Mitmenschen gebracht haben, aber ist das noch nicht gesühnt? Haben die Menschen, denen er übel mitgespielt hat, ihm denn noch nicht vergeben? Wenn diese Menschen bei dir im Himmel sind, wie können sie ihm dann nicht vergeben haben? Und wenn sie es taten, warum tust du es dann nicht? Bitte nimm dich seiner Seele an!“
    Eleanor öffnete die gefalteten Hände. Sie blickte zum Altar empor, hinter dem das Tageslicht nur trübe durch das bunte Glasfenster fiel. Aber Gott gab ihr kein Zeichen. Eleanor wusste nicht zu sagen, ob Gott ihr Gebet vernommen hatte oder nicht. Eine Weile blieb sie noch knien. Dann erhob sie sich und verließ die kleine Kapelle.
     
    Die Sonne war untergegangen und Eleanor saß in ihrem Zimmer. Sie hatte sich zwingen müssen, heute zu Abend zu essen. Der Hunger hatte es hineingetrieben, auch wenn sie an alles Mögliche gedacht hatte, nur nicht an Essen. Allerdings hatte sie darum bitten müssen, die Mahlzeit auf ihrem Zimmer einnehmen zu dürfen. Die bunte Geschäftigkeit des großen Speisesaals hätte sie um nichts in der Welt heute Abend ertragen. Zudem war sie gerade heute nicht scharf auf die neugierigen Blicke, die von allen Seite auf sie gefallen wären, nachdem sie am Morgen erst Elizabeths Leiche entdeckt hatte.
    Sie wusste nicht, wann Raphael kommen würde. Daher zog sie sich schließlich um und begab sich zu Bett. Sie zog die Bettdecke hoch und schaltete das Licht aus. Nur wenige Minuten später sank die Raumtemperatur schlagartig um mehrere Grad. Eleanor wusste genau, dass sie nun nicht mehr allein war. Elizabeth musste im Raum sein.

Hölle auf Erden
     
    Mit einem Schlag wurde Eleanor von einer Welle der Angst und Verzweiflung überschwemmt. Sie hatte das erwartet, doch die Heftigkeit dieser

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