Hoellenfeuer
in der Tüte. Nach dem Essen würde sie die Tüte irgendwo im Park vergraben. Dann wäre ihr nichts mehr nachzuweisen. Bei Bedarf könnte sie sich auch dann noch eine Tablette besorgen, aber Eleanor hoffte, dass Raphael nun auch hier in Stratton Hall mit ihr sprechen würde.
An diesem Vormittag schlich Eleanor durch den Park. Es war jetzt halb Zehn und bis zu ihrer ersten Sitzung mit Dr. Marcus um halb Zwölf war noch genug Zeit, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Sie hatte die kleine Plastiktüte bei sich und hoffte, sie unter einem der großen Bäume im hinteren Teil der Parkanlage vergraben zu können. Durch das regnerische Wetter der letzten Tage war das Erdreich feucht und locker. Es sollte nicht allzu schwer sein, mit den bloßen Händen ein kleines Loch auszuheben.
Kurz darauf fand sie einen geeigneten Platz für ihr Vorhaben. Eine große Weide hing weit über die Oberfläche des kleinen Sees, der hier unweit der hinteren Grundstücksmauer am Rande eines Wäldchens lag. Niemand würde hier suchen und selbst wenn man die Tabletten hier entdeckte, würde niemand wissen, wer sie hier deponiert hatte. Eleanor sah sich um, doch sie konnte niemanden entdecken, der sie eventuell beobachtete. So trat sie unter die hängenden Äste der Weide und war augenblicklich vor den Augen der Welt verborgen.
Einige Minuten später trat sie wieder unter der Weide hervor. Sie hatte sich am Ufer des kleinen Sees die Hände gewaschen und alle Spuren vor Ort und an sich selbst verwischt, die sie hätten verraten können. Nun ging sie durch den Park zurück zum Haupthaus. Es hatte wieder leicht zu regnen begonnen.
Sie war jedoch noch nicht weit gegangen, als sie eine Gestalt auf sich zuwanken sah. Wer immer es sein mochte, war unsicher auf den Beinen und bewegte sich, als sei er betrunken und nicht Herr seiner Glieder.
Eleanor blinzelte durch die Regentropfen hindurch. Es war Raphael, der auf sie zukam. Jede seiner Bewegungen wirkte unkoordiniert und schien ihm schwer zufallen. Eleanor lief ihm die letzten Meter entgegen und beide sahen sich durchnässt und atemlos an.
Langsam veränderte sich Raphaels Gesichtsausdruck. Aus dem schmerzverzerrten und gepeinigten Gesicht von Nummer Sieben wurde das Gesicht Raphaels, als ein Lächeln darüber glitt.
„Eleanor“, sagte er leise.
Eleanor strahlte. „Du erkennst mich.“
„Mir scheint, ich würde dich in den tiefsten Tiefen der Hölle erkennen“, erwiderte Raphael. Dann schwieg er betreten, als ihnen beiden klar wurde, dass genau das eben geschehen war.
Raphael atmete tief durch und blickte sich dann strahlend um. „Ich kann nicht erklären, woran es liegt“, sagte er schließlich. „Aber es ist lange her, dass ich die Welt zuletzt so lebendig und voll Farbe sah. Ich habe mich so lange in mir selbst verkrochen, dass ich nur noch den Toten Palast sehen konnte und nicht mehr Gottes Werk.“
„Mir scheint, es ist gut, dass du zurück bist“, lächelte Eleanor. „Die Welt kann einen Engel gebrauchen.“
Raphael erstarrte. Plötzlich trat wieder der zerrissene und gequälte Ausdruck in seine Augen.
„Eleanor. Ich bin hier um dich zu warnen“, stieß er hervor. „Du bist in großer Gefahr!“
Samael
Raphael zog Eleanor vom Weg und gemeinsam bewegten sie sich schnell auf die mächtigen Parkbäume zu, deren Schatten sie vor neugierigen Blicken verbargen. Ganz instinktiv wusste Eleanor, dass sie Raphael vertrauen konnte und seine Warnung ernst nehmen musste. Wenn ein Engel dir sagt, dass du in Gefahr bist, solltest du das nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Im Schutze einiger hoher Eichen blieben beide stehen. Raphael sah sich hastig um, dann sprudelte es aus ihm hervor: „Eleanor, als erstes musst du noch etwas über den Toten Palast wissen. Nachdem all jene, die sich auf Samaels Seite gestellt hatten, hierher auf die Erde herabgefallen waren um die Menschen in Versuchung zu führen, geschahen seltsame Dinge mit diesen Engeln. Da sie auf einmal ohne Gott waren, reagierten ihre Seelen sehr unterschiedlich auf diese Verbannung. Einige wurden schwermütig, so wie ich. Sie zogen sich in ihre Traumwelten – die Toten Paläste – zurück und nahmen die Geschehnisse der Welt kaum noch wahr. Ich zum Beispiel habe keine Ahnung, wie ich in dieses Sanatorium gelangt bin. Vermutlich hat mich irgendjemand gefunden und hierher gebracht, da ich auf nichts reagierte. Tatsache ist, dass ich hier in Stratton Hall eine menschliche Gestalt habe und so fiel ich nicht
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