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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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der Einsamkeit. Trotz seiner Entfernung erkannte sie, dass es heute Nacht nicht ruhig und träge war. Seine Wellen türmten sich haushoch und weiße Schaumkronen tanzten auf ihnen in der Dunkelheit. Sie vermeinte sogar das Rauschen und Tosen bis hierher hören zu können.
    „Sag mir, was du hier machst, Raphael “, sprach Eleanor schließlich. „Ich verstehe nicht, wie ein Engel an diesen Ort kommt. Solltest du nicht im Himmel sein?“
    Raphael lachte bitter auf. „Das sollte ich wohl “, stieß er hervor. „Aber stattdessen sitze ich hier im Palast der schweigenden Stimmen fest.“
    „Der Palast der schweigenden Stimmen?“, fragte Eleanor.
    Raphael schnaubte wütend. Ein irisierendes Leuchten durchzog seinen Leib und die Flügel auf seinem Rücken entfalteten sich erregt, bevor sie sich wieder zusammenlegten. Dann beruhigte er sich etwas und fragte: „Was weißt du über Engel, Eleanor?“
    Eleanor dachte nach. „Sie sind die Boten Gottes. Sie leben bei ihm im Himmel und kommen nur auf die Erde, wenn er sie schickt, um hier etwas für ihn zu tun.“
    Raphaels Blick verlor sich abwesend in der Ferne. In diesem Augenblick sah er fast sehnsüchtig aus. „Richtig“, erwiderte er schließlich. „Gilt das für alle Engel? Oder gibt es vielleicht Ausnahmen?“
    „Ich glaube mal gehört zu haben, dass auch der Teufel eigentlich ein Engel war. Aber er fiel von Gott ab und wurde böse. Zur Strafe fiel er herab in die Hölle.“
    Ein Fauchen durchfuhr Raphael. „Er fiel nicht von Gott ab“, schrie er. Das Meer der Einsamkeit begann bei Raphaels Schrei zu brodeln und die Wellen peitschten urplötzlich mehrere hundert Meter hoch. Der Tote Palast bebte und Eleanor fiel vor Schreck und Angst auf die Knie. Eine rote Flamme loderte gleißend in Raphaels Körper auf und tauchte die Fassade des Palastes über mehrere hundert Meter in ein tiefes, flackerndes Rot.
    Eleanor lag zitternd auf dem Boden des Balkons. Vor Furcht hatte sie sich zusammengerollt und hielt den Kopf unter den Armen verborgen. Irgendwann wurde ihr bewusst, dass Raphael nach ihrer Hand fasste. Ein Gefühl großer Ruhe durchströmte sie und sie wagte endlich wieder aufzublicken. Raphael stand über ihr und blickte besorgt hinab.
    „Verzeih, Eleanor“, sprach er leise. „Ich wollte dich nicht in Schrecken versetzen.“
    Er zog sie wieder auf die Füße. Zerknirscht forschte er in ihrem Blick, ob er einen Schaden angerichtet hätte. Tapfer lächelte Eleanor ihn an und nun endlich glitt auch auf sein Gesicht wieder ein Lächeln. Das Licht seines Körpers hatte sich wieder beruhigt. Es strahlte ruhig und gleichmäßig.
    „Es gibt eine Menge mehr, was du über Engel wissen solltest“, sagte er. Und dann begann er Eleanor von der Geschichte der Engel zu erzählen.
     
    …
     
    „Gott erschuf die Engel, lange bevor er die Erde erdachte. Da sie bei ihm im Himmel wohnen sollten, gab er ihnen Körper aus Feuer, die ewig hielten. Er gab ihnen Flügel, um sie durch die Himmel fliegen zu lassen und ein jeder von ihnen war über die Maßen schön anzusehen. Es gab keinen unter ihnen, der nicht vollkommen gewesen wäre. Er gab ihnen auch Seelen, und die Seele eines Engels ist so voll Liebe für Gott, dass er sich niemals von Gott abwenden könnte. Niemals.
    Gott war zufrieden mit dem, was er mit den Engeln erschaffen hatte. Doch nachdem er Ewigkeit auf Ewigkeit mit den Engeln im Himmel gelebt hatte, überdachte er seine Schöpfung. Er wollte etwas Neues erschaffen – etwas, das alle seine bisherigen Schöpfungen in den Schatten zu stellen imstande war. So erschuf er die Erde, Pflanzen und Tiere. Und endlich den Menschen. Ihm gab er eine Seele, die anders war, als die der Engel. Die Seele eines Engels steht so sehr auf Seiten Gottes, dass er sich niemals gegen Gott stellen würde. Er würde niemals eine Weisung Gottes bewusst in Frage stellen oder ihm zuwiderhandeln. Die Seele eines Menschen aber kann das. Sie kann sich von Gott abwenden, ihn sogar offen lästern und verhöhnen. Aber sie kann sich auch auf seine Seite stellen, ihm voll Hingabe dienen und gänzlich in ihm aufgehen. Der Mensch ist völlig frei in seinen Entscheidungen. Daher kennt er keine Grenzen.
    Als Gott den Engeln sein neues Wunderwerk zeigte, sprach er: „Diesen Menschen schuf ich nach meinem Vorbild. Verneigt euch vor ihm, denn er ist die Krone meiner Schöpfung!“
    Zwei Drittel der himmlischen Heerscharen verneigten sich sofort vor dem neuerschaffenen Menschen, denn sie hätten eine

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