Höllenjagd
die Verseifung wachsartig geworden. Cromwell hatte keinerlei Ähnlichkeit mit einem ehemals lebenden Wesen mehr. Es war, als wäre er zu einem unkenntlichen Klumpen brauner Gelatine zusammengeschmolzen. Sein Körper war verdreht, als hätte er sich im Todeskampf gewunden, als das Wasser tonnenweise in den Waggon geströmt war, während dieser der Lokomotive auf den Grund des Sees folgte. Bell wusste es besser. Cromwell hatte vielleicht ums Überleben gekämpft, aber nie hätte ihn die Angst gepackt. Jetzt war er keine bedrohliche Gestalt mehr. Das Rauben und Morden hatte vor vierundvierzig Jahren im kalten Wasser des Flathead Lake sein Ende gefunden.
Er watete durch den Schlamm zu Margarets Leiche. Ihr schwarz glänzendes Haar lag ausgebreitet im Schlamm und war von schilfartigem Gras umschlungen. Das einst hübsche Gesicht sah aus wie eine Skulptur, die der Künstler nicht fertiggestellt hatte. Bell musste an ihre Schönheit und Lebendigkeit an dem Abend denken, als sie sich im Aufzug des Brown Palace begegnet waren.
Kaufman unterbrach Bells Gedanken. »Seine Schwester?«
Bell nickte. Er war überwältigt von Kummer und Reue. Ihre letzten Worte, bevor er aus dem Waggon gefallen war, suchten ihn wieder heim. Er hatte seine Gefühle zu ihr nie genau benennen können. Es war keine wirkliche Liebe von seiner Seite, sondern mehr eine Zuneigung, die von Hass durchsetzt war. Er verzieh ihr die verbrecherischen Taten im Bund mit ihrem Bruder nicht. Sie hatte den Tod gewiss genauso verdient wie er.
»Wie sie jetzt aussieht, kann man das nicht sicher sagen«, bemerkte Kaufman, »aber sie war vielleicht einmal eine schöne Frau.«
»Ja, das war sie«, sagte Bell leise. »Eine schöne Frau voller Leben, aber in das Böse verstrickt.« Traurig, doch ohne Tränen in den Augen, wandte er sich ab.
Kurz vor Mitternacht legte das Bergungsschiff am Eisenbahnkai von Rollins an. Bell vereinbarte mit Kaufman, dass die Leichen zum nächsten Leichenschauhaus gebracht und die Angehörigen von Hunt und Carr informiert wurden. Er erkannte Joseph Van Dorn, der von vier seiner Agenten umgeben am Ufer stand, und war nicht überrascht, ihn dort zu sehen.
Van Dorn war in den Achtzigern, doch er stand kerzengerade da. Sein graues Haar war immer noch voll, und seine Augen hatten nichts von ihrem Glanz verloren. Obwohl seine beiden Söhne in der Zwischenzeit die Detektiv-Agentur von Büros in Washington aus führten, arbeitete er noch immer in seinem Büro in Chicago und kümmerte sich um Fälle, die nie gelöst worden waren.
Bell ging hinüber und schüttelte Van Dorn die Hand. »Schön, Sie zu sehen, Joseph. Es ist lange her.«
Van Dorn lächelte breit. »Meine Arbeit ist nur noch halb so interessant, seit Sie im Ruhestand sind.«
»Nichts konnte mich davon abhalten, dabei zu sein, wenn dieser Fall abgeschlossen wird.«
Van Dorn blickte auf den Güterwaggon. Im schwachen Licht des Kais sah er aus wie ein grässliches Monster aus den Tiefen des Sees. »War es da?«, fragte er.
»Das Geld?«
»Ja.«
Bell nickte nur.
»Und Cromwell?«
»Er und seine Schwester Margaret.«
Van Dorn seufzte schwer. »Dann ist es also endlich vorbei. Wir können einen Schlussstrich unter die Geschichte des Schlächters ziehen.«
»Nicht viele der Kunden von Cromwells Bank dürften noch am Leben sein, um das Geld in Empfang nehmen zu können«, sagte Bell langsam.
»Nein, aber man wird ihre Nachkommen über den Überraschungsgewinn informieren.«
»Ich habe Kaufman und seiner Crew einen üppigen Finderlohn versprochen.«
»Ich sorge dafür, dass sie ihn bekommen«, versprach Van Dorn und legte Bell eine Hand auf die Schulter. »Gute Arbeit, Isaac. Schade nur, dass wir den Zug nicht schon vor fünfzig Jahren gefunden haben.«
»Der See ist achtzig Meter tief an der Stelle, wo der Zug versunken ist«, erklärte Bell. »Die Bergungsfirma, die von der Bankenkommission in San Francisco angeheuert wurde, hat 1907 den See abgesucht, konnte ihn aber nicht finden.«
»Wie konnten sie ihn übersehen?«
»Er war in eine Vertiefung auf dem Grund des Sees gesunken, und die Schleppleinen sind darüber hinweggestrichen.«
Van Dorn drehte sich um und nickte in Richtung eines parkenden Wagens am Kai. »Ich nehme an, Sie fahren nach Hause zurück.«
Bell nickte. »Meine Frau wartet auf mich. Wir fahren nach Kalifornien zurück.«
»San Francisco?«
»Ich habe mich während der Ermittlungen in die Stadt verliebt und beschlossen, nach dem Erdbeben dort zu bleiben.
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