Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
keimte in der jungen
Frau die Hoffnung auf, sie könne entkommen, doch genau in jenem Augenblick, in dem
sie mit letzter Kraft die Türschwelle erreicht hatte, brach der Eindringling seine
Tortur an dem leblosen Körper des Kasseler Oberbürgermeisters ab und erkannte, dass
sie dabei war, ihm zu entkommen.
»Nichts
da!«, zischte er keuchend, sprang hinter ihr her, griff ihr in die Haare und schlug
den Kopf der Frau mit voller Wucht gegen den Türrahmen.
Stefanie
Kratzer wusste schon bei seinen Worten, dass sie nicht den Hauch einer Chance haben
würde, und sie wehrte sich auch nicht, als er neben ihr auftauchte. Der Schmerz,
den sie empfand, als die Kante des Türrahmens ihr die Schädelbasis zertrümmerte,
währte nur ein paar Tausendstel Sekunden. Dann wurde es pechschwarz um sie herum,
und alle Schmerzen waren für den Moment vergessen.
4
»Na, Gevatter Hinkefuß, wie geht’s
immer so?«, wollte Oberkommissar Thilo Hain wissen, nachdem er angeklopft und das
Krankenzimmer betreten hatte. Lenz, der auf dem Bett saß und in seine Richtung sah,
verengte die Augen zu schmalen Schlitzen.
»Danke der
Nachfrage, geht schon. Trotzdem kann ich es kaum erwarten, hier rauszukommen.«
»Dann mal
los. Soll ich die Krücken tragen oder deine Tasche?«
»Blödmann!«
»Gerne.«
Damit griff
der junge Polizist nach der großen, blauen Reisetasche neben dem Bett.
»Mein Gott,
hast du heimlich einen Goldhandel aufgemacht?«, ächzte er.
»Nein, das
nicht. Aber immerhin musste ich zehn Tage hier drin verbringen, da kommt schon das
eine oder andere zusammen, das nach Hause zurücktransportiert werden muss.«
Hain zerrte
sich die Tasche auf die Schulter.
»Dir würde
ich sogar zutrauen, dass du dieses Ding mit alten Zeitungen aufgefüllt hast, nur
um mich zu ärgern.«
Lenz lachte
laut los.
»Keine schlechte
Idee. Nur bin ich darauf leider nicht gekommen.«
Eine knappe
Stunde später saßen die beiden Polizisten in einem Eiscafé an der Friedrich-Ebert-Straße.
Vor jedem stand ein dampfender Cappuccino. Hain nahm einen Schluck, stellte die
Tasse zurück und sah seinem Chef ins Gesicht.
»Hat dir
die Maloche während der Zeit im Krankenhaus gefehlt?«
»Ein bisschen
schon, glaube ich«, antwortete Lenz nach einer Weile des Nachdenkens. »Aber ich
habe mich, trotz der OP und der Schmerzen vorher und im Anschluss daran, irgendwie
gut erholt. Und auch, wenn ich die nächsten Wochen auf Krücken durch die Gegend
humpeln muss, fühle ich mich trotzdem nicht krank oder so was.«
Hain bedachte
ihn und sein in einer Gipsschiene ruhendes Bein mit einem spöttischen Blick.
»Na ja«,
murmelte er. »Das kann man auch anders sehen. Wie lange wirst du krankgeschrieben
bleiben?«
»Keine Ahnung,
wirklich. Der Doc im Krankenhaus hat mir erklärt, dass es zwar wichtig ist, den
Fuß auf keinen Fall zu belasten, hat aber dazu gesagt, ich könne von ihm aus laufen,
so weit die Unterarm-Gehhilfen es zuließen.«
»Hat er
wirklich ›Unterarm-Gehhilfen‹ gesagt?«, erkundigte sich Hain verwirrt. »Ich dachte
immer, die Dinger heißen Krücken?«
»Ich auch
und so nenne ich sie auch weiterhin. Aber wie auch immer sie heißen«, winkte sein
Chef ab, »das Gehen mit ihnen ist auf jeden Fall verdammt anstrengend.«
»Vielleicht
wachsen dir davon ja ein paar Muskeln. Schaden würden sie sicher nicht.«
Lenz bedachte
seinen Kollegen mit einem bösen Blick.
»Charmant
wie immer, der Herr Kollege.«
»Ich dich
auch. Aber viel wichtiger als dein Prachtkörper ist mir, dass du weißt, wie es in
der Zeit ohne dich gelaufen ist.«
Der junge
Oberkommissar nahm genussvoll einen Schluck Kaffee.
»Nämlich
wunderbar.«
»Wie auch
sonst?«, erwiderte Lenz ungerührt. »Was allerdings einzig dem Umstand zu verdanken
ist, dass ich eine schlagkräftige und bestens ausgebildete Abteilung geformt hatte,
bevor ich mich in den Krankenstand verabschiedet habe.«
Hain hätte
sich fast am nächsten Mund voll Kaffee verschluckt.
»Meine Herren!«,
prustete er los. »Geht’s nicht noch ein wenig selbstbewusster?«
»Ginge schon,
muss aber nicht sein. Außerdem hab nicht ich mit dem Blödsinn angefangen«, verteidigte
Lenz sich grinsend und ließ dabei ein Tütchen Zucker in seinen Cappuccino rieseln.
Die nächste
halbe Stunde verbrachten die Polizisten damit, über einen Bankraub mit anschließender
Geiselnahme zu sprechen, der sich während der Abwesenheit des Hauptkommissars ereignet
hatte.
»Mir war
schon recht, dass die beiden Täter nach
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