Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)
den Hafen von Salala hinter uns, der Lotse ging von Bord und wir fuhren auf den gläsern glitzernden Indischen Ozean hinaus.
Wann immer ich einen Hafen hinter mir lasse, muss ich daran denken, wie ich zu diesem Beruf gekommen bin und wie unwahrscheinlich es eigentlich gewesen ist, dass ich Kapitän wurde. Wenn ich nicht einem Seemann begegnet wäre, der ständig hinter jedem Rock her war und das Leben genießen wollte, hätte ich wahrscheinlich nie von der Handelsmarine gehört. Damals gab es in Winchester, Massachusetts, in der Nähe von Boston, wo ich aufwuchs, jede Menge Leute, die überzeugt waren, ich würde es im Leben nicht weit bringen, allenfalls bis zur nächsten Bar an der Ecke.
Mein Hauptproblem war damals, dass ich tatsächlich ein bisschen wild war. In der High School hatten sie mir den Spitznamen »Jungle« verpasst, und ich muss zugeben, dass ich ihn verdiente. Zusammen mit Freunden endete ich oft in einer Bar in den raueren Bezirken von Boston oder Cambridge, und manchmal mussten wir uns den Weg nach Hause freikämpfen. Einmal, in den frühen Siebzigern, hatten meine Kumpels und ich schon ein paar Bier intus, und bei unserem Streifzug durch Boston stießen wir auf eine recht große Menschenansammlung. »Karneval!«, dachten wir mit unseren benebelten Gehirnen. Wir schoben uns durch die Menge bis ganz nach vorn, und erst dort merkten wir, dass wir in einer Straßenversammlung gelandet waren, bei der ein militanter Irrer die Revolution predigte.
Als wir plötzlich vor dem Sprecher auftauchten, starrte er uns nur an. Wir konnten von Glück sagen, dass wir überhaupt heil herauskamen, aber für uns Jungs aus Winchester war das nichts Ungewöhnliches.
In Boston musste man damals, in den Sechzigern und Siebzigern, ziemlich robust sein, um zu überleben. Ich wuchs in einem Viertel auf, in dem es auch viele Weicheier und Bücherwürmer gab. Aber es war voll von Burschen, die sich wie Relikte aus einer anderen Zeit verhielten, Typen, die kein Problem damit hatten, dir erst mal eine in die Fresse zu geben, um herauszufinden, aus welchem Holz du geschnitzt bist. Und ich zuckte nicht zurück, im Gegenteil: Ich war dafür bekannt, dass ich keinem Streit aus dem Weg ging. Softies mussten damals eben zu Hause bleiben, bis es Zeit war, ins College zu verschwinden, wo sie in Sicherheit waren.
Dass ich ein so harter Bursche war, hatte ich wohl auch meinen Großeltern zu verdanken. Sie wohnten in einem Wohnviertel namens Fidelis Way in Brighton, das schon damals als ziemlich rau galt und es auch heute noch ist. Sie waren vom County Cork in Irland nach Amerika ausgewandert, gerade rechtzeitig zum Beginn der Großen Depression, aus der schließlich die Weltwirtschaftskrise wurde. Die düsteren, entbehrungsreichen Jahre hatten sie nachhaltig geprägt. Wahrscheinlich hatten sie damals in Irland auch nicht viel mehr zum Leben gehabt, jedenfalls hat mich immer erstaunt und beeindruckt, wie sie aus reiner Gewohnheit alles nutzten und nichts verschwendeten. Sie versuchten, so viel wie möglich selbst herzustellen – Seife, Brot, Vorhänge, und eine Zeitlang nähten sie wohl auch ihre Kleider selbst. Ich war eines von acht Kindern, vier Mädchen und vier Jungen, und meine Geschwister hassten es immer, wenn wir Opa und Oma besuchen mussten. Beim Essen gab es keinen Nachschlag, es war also besser, alles zu essen, was man auf den Teller bekam, denn mehr würde es nicht geben. Und lächeln sah ich meine Großmutter auch nur ganz selten.
Eigentlich komisch: Damals dachte ich nie darüber nach, aber zu sehen, wie hart meine Großeltern arbeiteten, um zu überleben, muss sich doch in meine Erinnerung eingegraben haben. Sie hatten ihr Leben lang mit dem Wenigen auskommen müssen, das die Welt ihnen gelassen hatte. An Arbeitsethik hatte es in meiner Familie nie gefehlt, und bei meinen Großeltern sah ich, woher diese Haltung kam.
Meine Mutter stammte aus West Roxbury, damals ein recht wohlhabender Bezirk Bostons. Ihre Eltern waren Lehrer; sie hatten ihr die Überzeugung mitgegeben, dass man unbedingt eine gute Ausbildung bekommen müsse, koste es, was es wolle. Ich war kein guter Lerner, aber zumindest gelang es ihr, aus mir einen Leser zu machen, einen Menschen, der immer bestrebt war, besser zu werden. Meine Mutter tat alles dafür, dass ich meine Nase in Bücher steckte. Außerdem hielt sie die Familie zusammen. Sie war eine warme, mitfühlende Frau und blieb ihr Leben lang neugierig auf alles. Wenn ich ein Problem hatte,
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