Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)
Containerschiff überholt. Im Funkverkehr, den Shane überwachte, war nun der Name des Schiffs erwähnt worden.
»Es ist vor sechs Stunden von Piraten überfallen worden.«
»Wo?«, fragte ich.
»Knapp nördlich der kenianisch-somalischen Grenze.«
Für uns war das Zufallsglück gewesen. Die Piraten waren nach Norden gefahren und hatten somit das andere Schiff erwischt; wären sie nach Süden gefahren, hätten sie uns angegriffen.
Auch die Piraterie kennt saisonale Schwankungen, genau wie das Wetter. Der Indische Ozean ist normalerweise flach wie ein Spiegel und von überwältigend tropischem Blau; Seeleute nennen das »hübsches Wetter«. Aber zwischen Ende Juni und Anfang September herrscht der Charif: Dann fegt der Südwestmonsun über den Ozean, der für kleinere Schiffe eine ernste Gefahr darstellt. Das wiederum bedeutet, dass die Piratensaison von Oktober bis in den Mai hinein dauert. Ab April legen sich die Banditen noch einmal richtig ins Zeug, um noch einmal fette Beute zu machen, bevor die Stürme beginnen.
Wie ich wusste, stammten die meisten Piraten aus Puntland, der nordöstlichen Region Somalias. Der Name wird auf das Land von Punt zurückgeführt, das schon den alten Ägyptern als Herkunftsland von Gold, Ebenholz und Grenadillholz bekannt war. Aber das Land ist längst kein Lieferant von Reichtümern mehr wie zu Zeiten der Pharaonen; heute herrschen dort Hunger, Elend, Banditen und Chaos. Als 1991 die Regierung stürzte, kam es zu einer Hungersnot; eine UN-Friedenstruppe unter Führung der US-Armee wurde in das Land entsandt. Die Mission endete am 3. und 4. Oktober 1993 mit dem berüchtigten Zwischenfall, der als »Black Hawk Down« bekannt geworden ist und bei dem 18 amerikanische Soldaten und ein malaiischer Soldat ihr Leben in einem furchtbaren Feuergefecht verloren.
Die Piraten bezeichnen sich als ehemalige Fischer; sie behaupten, sie würden zu ihrem kriminellen Verhalten gezwungen, weil ihre normalen Erwerbsquellen versiegt seien. Ausländische Fischereiflotten seien immer zahlreicher in somalischen Hoheitsgewässern aufgetaucht und hätten Thunfisch, Sardinen, Makrelen und Schwertfische im Wert von hunderten Millionen Dollar abgefischt. Andere Schiffe hätten Giftmüll ins Meer verklappt, um schnelles Geld zu machen. Gegen die technisch fortschrittlichen Fischfangflotten aus Spanien und Japan hatten die eingeborenen Fischer keine Chance. Außerdem wurden sie von den Eindringlingen beschossen, wenn sie vor demselben Küstenabschnitt auf Fischfang gingen. Mit der Vernichtung ihrer Lebensgrundlage wurden die Fischer zu Bettlern, und oftmals folgte der Hunger.
Aber wann immer ich die somalische Küste entlang fuhr, sah ich Schwärme von Makrelen, Thunfischen und anderen Fischarten. Man konnte sich dort immer noch den Lebensunterhalt verdienen. Deshalb war ich überzeugt, dass die Somalis einfach eine leichtere und profitablere Einkommensquelle entdeckt hatten: Piraterie.
Die Sache hatte schon in den 1990er Jahren begonnen, als die ersten Boote mit bewaffneten jungen Männern aus somalischen Häfen wie Eyl ausliefen, um die ausländischen Schiffsbesatzungen als Geiseln zu nehmen und kleine Lösegeldsummen zu erpressen. Das waren gnadenlose Profibanditen, die die Chance ergriffen, den großen Reibach zu machen. Im Jahr 2008 erbeuteten sie 120 Millionen Dollar – in einem Land, in dem die meisten Menschen grade mal 600 Dollar im Jahr verdienten. An Sardinen und Schwertfische dachten diese Burschen schon lange nicht mehr. In meinen Augen bestand zwischen ihnen und einer Bande von Mafia-Erpressern oder bewaffneten Räubern, die eine Tankstelle überfielen, kein großer Unterschied. Sicher, sie sind arm, aber Diebstahl bleibt Diebstahl.
Am Anfang der Piraterie in den frühen 1990er Jahren preschten sie in ramponierten hölzernen Skiffs mit Außenbordmotor aus ihren örtlichen Häfen heraus, konnten damit aber nur in Küstennähe herumkreuzen und nur ein paar tausend Quadratmeilen des Ozeans abdecken. Ihre Boote waren einfach nicht stabil genug, um weiter hinaus zu fahren. Aber die Schiffe reagierten so, wie sie immer reagieren, wenn ihre normalen Schifffahrtsstraßen von Piraten bedroht werden: Sie änderten die Routen. Bald fuhren die großen Schiffe in größerer Entfernung vorbei, und die Piraten mussten mit ansehen, dass ihr Glück schwand.
Daraufhin änderten auch die Somalis ihre Methoden. Statt Trawler und Frachter zu kapern und Lösegelder zu erpressen, entführten sie die Schiffe und
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