Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)
wurde einem Besatzungsmitglied in den Rücken geschossen. Als sich der Schiffseigner weigerte, die geforderte Lösegeldsumme von 1,5 Millionen Dollar zu zahlen, wählten die Somalis willkürlich einen weiteren chinesischen Matrosen aus und richteten ihn kaltblütig mit sechs Schüssen hin. Die Piraten wollten die Leiche den Haischwärmen vorwerfen, die im Indischen Ozean vorkommen, aber der Kapitän rang ihnen das Zugeständnis ab, die Leiche im Kühlraum aufbewahren zu dürfen. Danach setzten die Piraten dem 22jährigen Sohn des Kapitän die Pistole an den Kopf und drohten, ihn zu erschießen, wenn dieser nicht sofort in Taiwan anrief, um die Lösegeldverhandlungen wieder in Gang zu bringen. Sieben Monate lang erlebte die Crew die Hölle auf Erden: Immer wieder wurden sie aus den Betten geholt, um vorgetäuschten Erschießungen beizuwohnen, wurden geschlagen, wenn sie die Somalis nicht verstanden, und fielen allmählich dem kältesten Killer der Weltmeere – Skorbut – zum Opfer, als Gemüse und Obst aufgebraucht waren. Die Somalis zwangen die Seeleute sogar, zu Hause anzurufen, damit ihre Familien Druck auf den Schiffseigner ausübten, das Lösegeld zu zahlen.
Wenn die Piraten kein Geld erhalten, werden sie brutal. Ein russischer Seemann, für dessen entführtes Schiff ein Lösegeld von 10 Millionen Dollar gefordert worden war, wurde verprügelt und gezwungen, sich auf das glühend heiße Deck zu legen, obwohl die Temperatur über 37 Grad Celsius lag. Nigerianische Seeleute wurden drei Monate lang ununterbrochen in ihren Kajüten gefangen gehalten, ohne auch nur einmal an die frische Luft oder in die Sonne zu dürfen. Indische Seeleute wurden gefoltert und mit Erschießung bedroht. Und zum selben Zeitpunkt, an dem wir mit der Maersk Alabama in den Golf von Aden einfuhren, wurden mehr als 200 Besatzungsmitglieder verschiedener Nationalitäten auf 22 Schiffen als Geiseln festgehalten; die meisten Schiffe waren im oder in der Nähe des Indischen Ozeans gekapert worden.
Ein Großteil des Schadens wurde von vier Hauptgruppen angerichtet. Zu ihnen zählte die National Volunteer Coast Guard, die sich meistens auf Überfälle kleiner Handelsschiffe und Fischereischiffe beschränkte. Eine weitere Gruppierung nannte sich Marka Group, die von der gleichnamigen somalischen Stadt aus operierte. Ferner gab es die Puntland Group, die tatsächlich aus ehemaligen Fischern bestand, die zu Piraten geworden waren. Und schließlich waren auch die Somali Marines aktiv, die sich für eine Art nationale Kriegsmarine hielten – ihre Anführer bezeichneten sich tatsächlich als Flottenadmiral und Vizeadmiral, außerdem hatten sie sogar einen Finanzdirektor. Sie schickten Schnellboote von Mutterschiffen aus los und leiteten sie über Satellitentelefon zu ihren Angriffszielen. Diese Gruppe hatte es vor allem auf große Beute abgesehen: Tanker und Containerschiffe.
Also auf uns.
Am meisten beunruhigten mich jedoch die Informationen über die Piraten, die ich von meinem Bruder erhielt, der als Analytiker mit Schwerpunkt »Naher Osten« bei einem konservativen Think Tank in Washington, D. C., arbeitete. Wie er mir mitteilte, hatte er Berichte gelesen, denen zufolge Kämpfer des Terrornetzwerks al-Qaida aus Pakistan auch in Somalia und im Jemen aktiv waren. Diese Nachricht bereitete mir größte Sorgen. Denn al-Qaida spielte in einer ganz anderen Liga. Ich hatte von einem bizarren Zwischenfall gehört, bei dem eine Gruppe von Piraten ein Schiff in der Straße von Malakka angriff, einer Meerenge zwischen der malaiischen Hauptinsel und der Insel Sumatra. Sie warfen Haken über die Bordwand und enterten das Schiff. Dann trieben sie die Besatzung zusammen und sperrten sie in eine Kabine. Man sollte denken, dass der nächste Schritt die Lösegeldforderung gewesen wäre, aber dem war nicht so. Sie hatten ein anderes Ziel: Sie wollten lernen, wie man ein Schiff steuert. Sie stiegen in den Maschinenraum und inspizierten ihn. Sie stiegen auf die Brücke und übten, das Schiff zu steuern. Sie setzten sich ans Funkgerät und lernten, wie man den VTS (Vessel Traffic Service, das elektronische Überwachungssystem des Schiffsverkehrs) kontaktiert und ihm die Meldepunkte der Schiffsroute übermittelt. Als sie alles gelernt hatten, was sie wissen wollten, gingen sie wieder von Bord, nahmen aber die Handbücher und Anleitungen aus dem Maschinenraum und von der Brücke mit, sowie eine Checkliste, die Kapitäne benutzen, wenn sie durch dichten Schiffsverkehr
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