Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
Vom Netzwerk:
gekränkt, ich wollte nicht dein Kumpel sein.

    Womöglich hat das Koks unsere Geschichte verlängert.
    Wir brauchten einander, um die Panik am frühen Morgen zu überstehen, wir waren immer bei dir, weil du einen schnellen Internetzugang hattest. Wenn die Nacht zu Ende ging, surften wir oft durchs Web, einmal stolperten wir über Kommentare eines früheren Freiers zu meinem Buch, die wir danach nie wieder finden konnten, vielleicht wurden sie an einem selbst deiner kundigen Hand unzugänglichen Ort archiviert. Außerdem gingen die riesigen Fenster meiner Wohnung direkt nach Süden und ließen das Licht des Sonnenaufgangs ein, das uns in unseren kleinen Tätigkeiten störte und uns selbst vorführ-te in unserer Verwundbarkeit, du fandest es brutal, wie die Morgensonne die entstellenden Zuckungen unserer Kiefer erhellte und uns kriechend auf dem Boden zeigte, mit der Nase den Kokslinien folgend, sie machte uns noch nichtiger, als wir waren.
    Das Ende der Nacht war fast immer schrecklich, auch wenn wir uns in deinem dunklen Zimmer aufhielten, änderte das nichts. Wir verfluchten uns und gelobten in langen Tiraden Besserung für die folgenden Jahre, doch um uns davon zu überzeugen, brauchten wir noch mehr Koks, und dein Dealer garantierte die Lieferung auf dem Plateau Mont-Royal bis sechs Uhr morgens. Wir leckten die letzten Reste aus unseren Tütchen und beobachteten einander aus den Augenwinkeln, unsere Abhängigkeit gab Anlaß zu den schlimmsten Befürchtungen im Hin-blick auf einen rasanten Absturz in die Welt der Parasi-ten, wir waren so verachtenswerte Geschöpfe, daß selbst die Wände deines Zimmers Mitleid mit uns hatten. Jedesmal schworen wir uns, das ist das letzte Mal, und jedesmal fiel uns das letzte Mal ein, als wir uns geschwo-ren hatten, das ist das letzte Mal, und der wiederholte Beweis unserer Unfähigkeit machte uns so fertig, daß wir noch mehr Koks brauchten.

    Wir gewöhnten uns rasch an unsere Häßlichkeit bei Sonnenaufgang, das konnte unser Vergnügen am Zusammensein nicht schmälern, weil wir wußten, daß auf der anderen Seite des Abstiegs, wenn wir erwachten, das Glück auf uns wartete. Die Folgen unserer Ausschwei-fungen verflogen in der sommerlichen Wärme des Sams-tagnachmittags, das viele Ficken schwemmte das Schlechte aus dem System. Der Dreck der Nacht spritzte aus deinem Schwanz, die Liebe desinfizierte uns, und am Sonntag danach war alles vergessen. Anfangs hatte ich die Sorge, daß deine Zärtlichkeiten gewisse Automatis-men von früher in mir wachrufen könnten: Blasen und Wichsen, um nach einem möglichst raschen Höhepunkt das Geld einzusacken. Ich hatte die Sorge, während der Längen abzutauchen und unter meinen geschlossenen Lidern das Polarlicht wieder zu finden, das mir stets zur Verfügung stand, um die Gesichter meiner Freier auszu-blenden, wenn sie allzu sehr an mir klebten, ich hatte die Sorge, dich mit meinen mechanischen Reflexen zu verschrecken, ich hatte die Sorge, immer noch Hure zu sein.

    Ich hatte nicht bedacht, daß du dich auch schon Jahre abgerackert und Erfahrungen gesammelt hattest mit Frauen und Pornographie und daß Lust für dich mit Abwesenheit verknüpft war. Wir folgten denselben Gesetzen des Handels, wir kannten nur das Elend, trotzdem machten wir unsere Sache ganz gut, wir machten eine Zeitlang Liebe. Wenn wir uns im Schlaf voneinander lösten und nachts allein auf einer Seite des Betts erwachten, klammerten wir uns sofort wieder an den andern in dem Gefühl, einzeln nicht sehr viel wert zu sein.
    Vielleicht war deine Mitbewohnerin Martine dann doch genervt von unseren Wochenendexzessen. Martine wohnte in dem Zimmer dir gegenüber, sie rauchte Haschisch, nahm aber sonst keine Drogen, wir mochten einander, Martine und ich, bis ich in deinem Computer Fotos von ihr fand. Du hattest sie im Abendkleid aufgenommen, sie hatte sich richtig in Schale geworfen für eine Gala, wo eines ihrer Glasobjekte ausgestellt wurde, und zur Erinnerung daran hast du einen Ordner mit ihrem Vornamen angelegt. Normalerweise gab sie sich wenig weiblich, schminkte sich auch nicht immer. Ihr Geld verdiente sie mit Glasbläserei, und Künstlerinnen waren nicht so dein Genre, dir waren Frauen mit Glamour lieber. Mit deinen Bildern wolltest du ihre Verwandlung vom mißglückten Jungen zur Femme fatale festhalten.
    Sie zeigten, wie sexy dunkler Lidschatten wirkt, und ließen ihre Formen in dem tiefdekolletierten, schwarzen Satinkleid, das sich um ihren Körper schmiegte, gleichsam

Weitere Kostenlose Bücher