Hoerig
Danach sei man kein junger Autor mehr, und als reifer Schriftsteller bekannt zu werden war dir viel zu gewöhnlich. Das Außergewöhnliche an einem jungen Autor fällt mehr auf, und als Journalist wußtest du nur zu genau, daß man es desto leichter auf die Titelblätter großer Tageszeitungen schafft, je jünger man aussieht.
Journalisten haben ein Faible für Newcomer, besonders junge, und wenn der Newcomer auch noch gute Kontakte zu Journalisten hat, um so besser. Du hattest schon gute Vorarbeit geleistet und dich mit den Kritikern von lci, Voir, La Presse und Journal angefreundet. Daran hätte ich auch früher denken sollen, rügtest du meine Naivität, die oft wie Dreistigkeit wirkte, meine Fehler beim tasten-den Ausprobieren, welche Fakten man der Öffentlichkeit preisgeben mußte, wurden häufig kritisiert. Die Medien sind kein Versuchsfeld, hast du gesagt, sondern eine Bühne für besondere Leistungen, die man nur perfekt vorbereitet betreten darf, meine Unerfahrenheit habe einigen die Möglichkeit gegeben, mich lächerlich zu machen, und wenn ich einen Agenten gehabt hätte, wäre es ganz anders gelaufen. Die Medienwelt sei mit dem Milieu der Prostitution durchaus vergleichbar, hast du gesagt, Journalisten sind wie Freier, sie halten nach Frischfleisch Ausschau, reichen es untereinander weiter und bringen es in Umlauf.
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Nach unserer Rückkehr aus dem Chalet begann unsere Zeit im Bily Kun und damit unsere Drogenphase. In dieser Periode war unsere Liebe von den Gezeiten des Rauschs geprägt, von der Erregung am Anfang und dem Absturz am Ende.
Koks machte uns gesprächig. Auf Koks gab es nie Streit, all unsere Seltsamkeiten waren selbstverständlich, manchmal redete ich sogar genau so viel wie du. Oft gingen unsere Worte über die Grenzen des Sagbaren hinaus, und wir begriffen ihren Sinn erst am nächsten Tag. An einem Freitagabend im Bily Kun hast du mir gestanden, daß du gern deinen Schwanz fotografierst, ich sagte, das sei vollkommen normal, und erzählte dann, vom Dopamin und dem wunderbaren Gefühl, eine letzte Wahrheit mit dir zu teilen, beflügelt, von einem meiner früheren Freier, der auch daran litt, sich selbst zu sehr zu lieben, und beim Ficken immer seinen Schwanz im Auge behalten mußte, was mit Huren kein Problem war, aber den jeweiligen Freundinnen schwer zu vermitteln. Wir hatten beide seit Jahren Koks genommen, es gehörte längst zu unserem Leben, doch du warst von Natur aus gesprächig, deine Freunde waren das gewohnt, und mich, die eigentlich wenig redet, hielten sie für eine echte Plaudertasche. Es hätte ihnen auffallen müssen, daß ich anders war, wenn sie mich unter der Woche trafen, mein Schweigen hätte es ihnen verraten können, aber ich weiß nicht, ob sie die Verbindung zum Koks gezogen haben.
Im Bily Kun wurde jedenfalls nie über Drogen gesprochen, das war nicht wie mit dem Sex, das war Privatsa-che.
Ich ging bis zum Ende mit dir ins Bily Kun und oft auch woandershin, ins SAT, zu den After Hours in der Rue Dominique, zum Schwarzen Loch im Herbst und zum Big Bang im Winter, wenn das Bily Kun um drei Uhr früh schloß. Ich war verliebt, ich wollte dich glücklich machen, manchmal gab ich dir den Rest aus meinem Tütchen, nur um dich länger reden zu hören. Unser Hin und Her zwischen den Toiletten und der Bar, wo unsere Biere standen, hätte deine Freunde, die keine Drogen nahmen, stutzig machen müssen. Freunde wollen für ihre Freunde doch immer nur das Beste, und das bedeutet auch, ihren Untergang zu verhüten, Ratschläge zu erteilen, die Bremse zu ziehen. Doch du warst ein großer Junge, es wäre verlorene Liebesmüh gewesen.
Einer deiner Freunde war JP, du kanntest ihn, seit du in Quebec lebtest, und du mochtest ihn, weil ihr die gleichen Ansichten über Frauen hattet, zum Beispiel, daß sie sich gern das Leben schwermachten, indem sie nur für Bad Guys und Hard to Get schwärmten. Ich fand, daß in deinem französischen Akzent etwas von JP war; ihr wurdet auch oft verwechselt, viele hielten euch für Brü-
der, und die Frauen konnten sich nie zwischen euch entscheiden. Ihr wart so oft zusammen, daß ihr euch einander angeglichen hattet, trotz eurer unterschiedlichen Größe, und wie alle Bewohner des Plateau Mont-Royal hattet ihr für die Vorortbewohner nur Verachtung und für die politischen Parteien des Landes nur Zynismus übrig.
Im Eifer eurer Gespräche habt ihr einander manchmal auf die Schulter geschlagen, doch wenn du das bei mir gemacht hast, war ich
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