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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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sagte. Nadine verstand es, andere Frauen von der Vergangenheit und selbst von der Zukunft der Männer fernzuhalten, mit denen sie etwas hatte, ich frage mich manchmal, ob meine Tante ihr nicht schon begegnet ist, wenn sie ihren Kundinnen die Karten legte, alle Montrealerinnen, die ich kenne, hatten direkt oder indirekt schon einmal mit Nadine zu tun, sie hat das Leben von mehr als fünfhundert Männern gezeichnet und damit vermutlich auch das von zehnmal mehr Frauen. An einem Freitagabend habe ich im Bily Kun deinen Freund Mister Dad geküßt, doch du hast es nicht gesehen, du hast woanders hingeschaut, wahrscheinlich auf einen blonden Kopf, der dir als Orientierungspunkt diente auf dem Weg zu den Toiletten, wo du dir deine Kokslinien reinzogst. Bei dem Versuch, eine Schlampe zu sein, hatte ich oft Schwierigkeiten mit dem richtigen Zeitpunkt.

    *

    Im Chalet meines Großvaters hast du mein Pressedossier gelesen, du wolltest für mich den Antrag auf ein Stipendium vom Conseil des Arts et des Lettres du Quebec stellen. Das war keine einfache Arbeit, ich sollte sie dir bezahlen, zehn Prozent des Gesamtbetrags waren deiner Meinung nach angemessen. Als ich das Stipendium endlich bekam, warst du bereits aus meinem Leben verschwunden, hast aber immer noch auf deinen Scheck gewartet, wie ich damals von Freddy erfuhr. Daß du ihm davon erzählt hast, berührte mich so sehr, daß ich es nicht schaffte, das Geld anzutasten, ich behielt es quasi als Geisel, und mir war, als ob sich unsere Geschichte so auf meinem Bankkonto fortsetzte.

    Um die Jury davon zu überzeugen, daß sich die Investition in mich lohnte, mußte der Beweis erbracht werden, daß ich in Europa eine Zukunft hatte, und da verfügtest du als französischer Journalist über eine gewisse Kompetenz. Du kanntest die Rangfolge der Zeitschriften und Zeitungen, du wußtest, wie man die Rezensionen zu ordnen hatte und daß Le Monde des Livres auf der Presti-geleiter vor Liberation stand, obwohl mir als Linker Liberation sympathischer war. Der dreizehnte Ausschnitt des Dossiers stammte aus dem Journal, in dem ein Groß-
    teil deiner Artikel erschien; wir haben lange überlegt, ob er an dieser Stelle bleiben sollte oder nicht, weil sich in unsere finanziellen Erwägungen der Aberglaube über den unheilvollen Einfluß der Zahl Dreizehn mischte.
    Zu diesem Zeitpunkt hattest du bereits erkannt, daß mein Problem, eine Verbindung mit meiner Zukunft herzustellen, meine Effizienz in geschäftlichen Angele-genheiten ziemlich beschränkte. Es war für dich unfaß-
    bar, daß ich dir einfach nicht sagen konnte, wo die Hun-derttausende von Dollars aus meiner Prostituiertenzeit geblieben waren; diese gegen niemanden gerichtete Leichtfertigkeit lief deiner Meinung nach auf Selbstzer-störung hinaus, für dich war das eine Extremform des Zynismus angesichts des Kapitalismus, es war Sabotage, ein Akt der Entwertung des Systems. Wenn du mich damals gekannt hättest, hast du gesagt, hättest du eine Möglichkeit gefunden, das Geld für mich anzulegen, damit ich hinterher von den Zinsen hätte profitieren können, Nutten, die als Hostessen arbeiteten, brauchten einfach einen Agenten. Angesichts dieser ungeheuren Summen, meintest du, sei auch das Bild des Zuhälters neu zu überdenken, wie alle anderen hätten auch Edelnut-ten einen nötig, der sie vor sich selbst in Schutz nahm, da die Verschwendung offenbar in allen Schichten ihrer Persönlichkeit angelegt sei; ich sagte, Huren werfen ihr Geld doch nur zum Fenster raus, um ihre Freier loszu-werden.
    Durch das Pressedossier wurde ich in deinen Augen anscheinend zu einer Autorität, denn während du daran gearbeitet hast, hast du mich nicht auf die gewohnte Weise gevögelt, sondern ganz sanft. Deine Zärtlichkeiten bekamen plötzlich etwas Flehendes, du wolltest mir unbedingt die Möse lecken, obwohl du wußtest, daß ich das nicht leiden kann, das haben schon unzufriedene Freier, die sich gern einen blasen ließen, aber auf Gegen-seitigkeit nicht verzichten wollten, als eine Eigenheit von mir im Web beklagt. We can’t go down on her, schrieben manche im Chat über mich, und daß ich mich sogar bereit erklärte, sie auf den Mund zu küssen, um das für sie unbegreifliche Cunnilingus-Verbot aufrechtzuerhalten, wo der Cunnilingus doch in allen Modemagazinen als Königsweg zur Befriedigung der Frauen gilt. Für dich war das Lecken einer Möse eine Tätigkeit ohne konkrete sexuelle Absicht eine Art Opfer oder Weihe, so etwas machte dich

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