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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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verzichtet hast. Wenn wir auf Koks waren, hatten wir keine Lust, einander zu berühren, trotz unseres Begehrens. Schließlich hast du es doch getan, ganz offen hast du mich darum gebeten, ins Wohnzimmer zu gehen, meine Anwesenheit war dir unangenehm, du brauchtest deinen ganzen Lebensraum, um ungestört vom Tageslicht oder vom Blick deiner Freundin Grimassen zu ziehen, du mußtest mich ganz weit wegdenken, um dir etwas Lust abzuringen. Einmal habe ich dich dabei durch die Tür gehört, ich hätte dich mit einem Küchenmesser erstechen können. Seit ich dich kannte, sah ich meine Freier anders: Sie schlossen mich wenigstens nicht aus.

    *

    Der Anfang vom Ende begann drei, vier Monate nach dem Nova. Es fing damit an, daß deine Ex-Freundin Nadine wieder in dein Leben trat und ich meinen ersten Verzweiflungsschub hatte, weil du mir mit Verlassen drohtest. Es fing damit an, daß ich begriff, wieviel stärker du warst, und Angst bekam. Anscheinend läßt sich das nicht vermeiden, anscheinend gehorchen Beziehungen absoluten Gesetzen, gegen die selbst Gott nichts vermag, mein Großvater sagte, das Böse kommt vom Unwägbaren in Gottes Werk, und heute weiß ich, daß er von der Liebe sprach.
    Als du mich verlassen hast, hast du gesagt, du hättest meine Angst gespürt und darüber den Faden unserer Geschichte verloren. Angst zu haben hieß für dich, am Hypothetischen zu leiden, nicht auf der Höhe des Lebens zu sein, vor der Zeit aufzugeben und dem Unglück Tür und Tor zu öffnen. Deine Mutter hatte, so weit dein Gedächtnis reichte, niemals Angst, weil sie nur an vollendete Tatsachen glaubte. Sie lebte im Hier und Jetzt, sie hatte keine komischen Ideen so wie ich, sie sorgte sich nicht um die Zukunft wie mein Großvater, und daß du nach Quebec wolltest, erzählte sie deinem Vater erst am Tag deiner Abreise. Meine Angst ließ dich an meiner Beständigkeit zweifeln, du wolltest eine Frau für jede Lebenslage, du wolltest ein mentales Gegenstück mit krisensicheren Nerven, du wolltest eigentlich einen Kerl.

    Eines Abends gingen wir mit Josée aus, sie nahm keine Zigarette von mir an, weil sie dachte, sie sei seit ein paar Wochen schwanger. Sie wollte es ihrem Freund aber erst nach einem zweiten Test sagen, sie fürchtete seine Reaktion, weil er schon das Zusammenleben mit ihr nur schwer ertragen konnte. Den ganzen Abend hielt sie sich den Bauch mit einer, manchmal mit beiden Händen, in diesem Stadium machen sich Kinder durch Krämpfe bemerkbar. Achtsame Frauen erkennen anscheinend den Unterschied zwischen den Vorboten der Regel und den Bemühungen des Eis, sich im Uterus einzunisten, achtsame Frauen wissen anscheinend, auf welcher Seite der Gebärmutterwand das Ei Fuß faßt, sehr achtsame Frauen können anscheinend sogar die Vorgänge in ihrem Bauch als Szene in einem Raumschiff visualisieren, wo vollkommene Schwerelosigkeit herrscht.
    Als wir an diesem Abend nach Hause kamen, hatten wir einen Streit, ich wollte wissen, ob du dir vorstellen könntest, ein Kind mit mir zu haben, du wolltest wissen, ob ich die Frechheit besäße, dir eines anzuhängen. Du sagtest, für die Männer deiner Generation sei es ein Albtraum, daß Frauen heute in der Lage seien, die Re-Produktion alleine zu verwalten, das könne den Beginn einer Karriere behindern, und Josée sei womöglich so eine Verräterin, die ihren Typen reingelegt habe. Ich erwiderte, daß Männer oft aus Egozentrik legitime Wünsche in böse Absichten ummünzen, weil sie jeden Wim-pernschlag der Frauen auf sich zurückführen, und daß die Kultur den Frauen aufgrund ihrer körperlichen Beschaf-fenheit seit jeher die Aufgabe zuschreibt, Kinder zu kriegen und auf Bahnsteigen Männern in abfahrenden Zügen hinterher zu weinen. Wenn dir Kinderkriegen kindisch vorkomme, gab ich dir zu bedenken, rühre das ja vielleicht daher, daß Säuglinge so große Ähnlichkeit mit Welpen hätten und daß deine Mutter dir einen Welpen vorzog. Und dann sagte ich noch, daß die tragischen Geschichten von ihren Müttern verlassener Söhne nichts mit den vier Millionen Jahren Evolution zu tun hätten, die der Individualismus zu seiner Entstehung benötigt habe.
    Da stritten wir zum ersten Mal, und ich habe zum ersten Mal geweint. Du hast allmählich begriffen, daß meine Tränen deine Strafe waren, denn ich hatte dir an dem Abend gezeigt, daß Leiden als Waffe dienen kann.
    Du hast deinen Kopf auf meinen Bauch gelegt, als ich weinte, eine väterliche Geste, dachte ich. Drei Monate später war

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