Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
Vom Netzwerk:
ich von dir schwanger.

    A lles war von Anfang an vorherbestimmt, wer weiß, warum ich kurz vor deinem Abgang die Pille absetzte, wer weiß, warum ich gleich darauf schwanger wurde.
    Wer weiß schon, warum Frauen auch im Sterben noch Kinder zeugen können, dabei war Fortpflanzung in meinem Lebensplan nicht vorgesehen, das stand schon seit der Zeit fest, wo meine Tante mir die Karten legte.
    Und mein Großvater war davon überzeugt, daß ich der letzten Generation angehörte, in der es noch Väter, Mütter, Kinder gab, die Apokalypse würde zuallererst die Fortpflanzung treffen, Leben würde fortan in Laboratori-en generiert, genau kalkuliert nach Haar- und Augenfar-ben, Muskelmasse und IQ, und parallel zu dieser mangel-freien Menschenvermehrung würde jeder mit jedem schlafen, aus welchem Grund auch immer, für Geld, als Leibesübung oder einfach so.
    Ich fühlte, daß du mich verlassen würdest, und wollte irgendwas tun, also machte ich ein Kind, und das zu einem Zeitpunkt, da ich nur noch vier Monate zu leben hatte. Ich glaubte nicht richtig daran, viel zu viel sprach dagegen, ich wundere mich noch heute darüber, daß überhaupt etwas keimen konnte inmitten von Drogen und Alkohol und bei deiner Manie, mir ins Gesicht zu spritzen. Wahrscheinlich bist du in einem Moment der Un-achtsamkeit doch einmal in meiner Möse gekommen.
    Wenn man sein Sperma so gern sieht, betrachtet man dann auch seinen Rotz im Taschentuch und die Scheiße in der Schüssel, bevor man die Spülung betätigt?
    Ich bin mir nicht sicher, ob das Kind erst bei der Abtreibung starb. Am Ende unserer Geschichte nahm ich Schlafmittel und Alkohol in solchen Mengen zu mir, daß das Kind sich wahrscheinlich schon für immer in seinem Säckchen verkrochen hatte, bevor es aus mir herausgeris-sen wurde. Ich fand auch, daß die Ärztin in dem kleinen Zimmer nebenan ein bißchen zu lange mit den Kranken-schwestern sprach, bevor sie mich holte, vielleicht hatte sie in dem Abfall eine Anomalie entdeckt. Vielleicht hatte sie während der Ausschabung das übliche Pochen des Lebens vermißt, das sich gegen den Tod wehrt, und sich gefragt, ob ihre Rolle die Verpflichtung nach sich zog, mich vor möglichen Problemen mit der Fortpflanzung zu warnen. Vielleicht scheute sie sich, mir ausführliche Untersuchungen nahe zu legen, um auszuschließen, daß meine Gebärmutter sich wie eine fleischfressende Pflanze gebärdet. Als meine Mutter mit mir schwanger war, wurde ein zwei Kilo schweres Fibrom entdeckt, das auf die Gebärmutter drückte, es muß ein heftiger Kampf gewesen sein zwischen ihm und mir.
    Ich habe die Abtreibung bis zur letzten Minute hinaus-gezögert, wahrscheinlich um nach deinem Abgang möglichst lange etwas von dir zu haben, so warst du, ohne davon zu wissen, drei Monate lang noch ein bißchen bei mir. Vermutlich haben Frauen seit Urzeiten diese furcht-erregende Fähigkeit kultiviert, Väter und Babys miteinander zu vertauschen, wahrscheinlich interessieren sie sich deshalb oft nicht mehr für die Väter, wenn die Babys erst auf der Welt sind. So war ich zum ersten Mal größer als du, war dir zum ersten Mal durch meine bösen Absichten überlegen. Ich konnte auf dich herabsehen, und du konntest nicht fliehen, weil ich den Schlüssel zu diesem Käfig hatte.
    Im dritten Monat habe ich lange hin- und herüberlegt.
    Seit deinem Abgang fehlte die Spannung in meinem Leben, Langeweile machte sich breit, wahrscheinlich wollte ich mich selbst überraschen, und mit der Zeit hätte mich das Baby vielleicht von deinem Gewicht befreit.
    Das ist in den ganzen drei Monaten nie passiert, keinen Moment lang hast du dich aus mir zurückgezogen, vielleicht weil du keine Ahnung hattest, was mir widerfuhr.
    Ein Geständnis erleichtert, sagt man, das habe ich aber bis heute nicht gespürt, solange ich diesen Brief schreibe, wohl weil er eigentlich nicht an dich gerichtet ist.
    Erst dachte ich, wir könnten uns gegenseitig das Leben retten, das Baby und ich, da wir schon beide mit dem Hals in der Schlinge steckten, könnten wir genauso gut auf unser Durchhalten wetten.
    Dann hatte ich vor allem Angst, Angst, daß das Baby so wird wie du und bei der Geburt schon eine Vergangenheit voller anderer Frauen hat. Ich hatte das Gefühl, das Baby ist schon wie du, es läßt mich schon im Bauch deine Unabhängigkeit spüren, es hat diese Kraft der Selbstbehauptung, die von deinen Vorfahren stammt, und kann sich damit schlimmstenfalls auch selbst produzieren, es zwingt mir seinen

Weitere Kostenlose Bücher