Hoerig
nicht besonders geil, jedenfalls hast du nicht verstanden, daß Freier sich das so sehnlich wünschten, ich übrigens auch nicht, ich habe das nie begriffen. Ich habe dir erzählt, daß mir manche, wenn ich sie danach fragte, sagten, sie bezahlten mich nicht dafür, um mit mir die gleichen Sachen zu machen wie mit ihrer Frau, das hieß also, daß sie mit mir genau das machen wollten, was sie mit ihr nicht machten, oft haben sie mehr mit mir gesprochen als mich berührt. Diese Aufteilung sexueller Praktiken zwischen Ehefrau und Hure hat mich übrigens bei dem, was du mit mir gemacht hast, so verwirrt.
Während du im Chalet meine Pressemappe zusammen-stelltest, bist du immer wieder zu mir gekommen, um mir Rezensionen aus verschiedenen französischen und kanadischen Zeitschriften vorzulesen. Ich habe dich jedesmal gebeten, damit aufzuhören, und du hast jedesmal so lange weitergemacht, bis ich sie dir aus der Hand gerissen habe, du hast nicht verstanden, daß ich über mich nichts hören wollte, du hast nicht verstanden, daß ich mich nicht im Fernsehen sehen wollte, wo sich doch jeder darum reißt, du hast nicht verstanden, daß es Menschen gibt, die sich nicht ins Gesicht schauen können, ohne zahllose Vor-sichtsmaßnahmen zu ergreifen, die es unerträglich finden, keine Kontrolle zu haben, sei es über den eigenen Körper in schlechter Beleuchtung auf dem Bildschirm, sei es über die Meinung der anderen. Du hast nicht verstanden, warum ich mich auf dich stürzte und schrie, ich hätte mich mein ganzes Leben lang schon schützen müssen vor den anderen und ihren verstörenden Worten, deshalb läse ich nur noch Bücher toter Autoren, weil das, was heute in den Zeitungen stehe, das Schlimmste sei, was ich mir vorstellen könne, weil es die Masse, zu der auch du gehörst, zum Zeugen nimmt und sie mit konkreten Fakten füttert. Du hast nicht verstanden, wie die Verfasserin eines Buches mit dem Titel »Hure« sich vor Worten fürchten und vor Scham die Ohren zuhalten konnte.
Es gab den Anflug eines Erstaunens auf deiner Seite, du hast über meine Weigerung, den anderen zuzuhören, gelächelt. Du konntest nicht wissen, daß jede neue Kritik die beharrlich schweigenden Karten meiner Tante durcheinander brachte, weil sie meinen Tod in Frage stellte, indem sie mich an die Öffentlichkeit zerrte, wo ich doch unsichtbar bleiben mußte, du konntest nicht wissen, daß diese ganze Geschichte klar meinem Schicksal zuwider-lief. Hättest du es gewußt, hätte es keine Geschichte zwischen uns gegeben, weil du auf Abstand gegangen wärst. An diesem Tag im Chalet fandest du mich sicher süß, in deiner Verblüffung nanntest du mich nicht verrückt, sondern schüchtern, und mein Wunsch, die materiellen Beweise meines Erfolgs verschwinden zu lassen, erschien dir als übertriebene Bescheidenheit, als vollendeter Ausdruck künstlerischer Integrität. Das Problem mit dem Wahnsinn ist, daß er so viele Tricks kennt, sich vor den Blicken normaler Menschen zu verbergen und sich erst dann zu zeigen, wenn es zu spät ist, er kann als Charakterzug auftreten oder sich in Nebelschleier hüllen und verführerischer wirken als alle Zauber einer Lolita.
Du wolltest dein Buch möglichst bald herausbringen, um der erste zu sein mit einem Roman über Porno im Web und durch die Neuheit bekannt zu werden. Für dich bedeutete schreiben enthüllen, schreiben hieß für dich, das Tagesgeschehen zu verfolgen und sich die Exklusiv-rechte daran zu sichern. Dein Schreiben war von deinem Beruf beschädigt. Du hast es nicht gern gehört, als ich dir sagte, daß es in unserer hochtechnisierten Welt, wo Pixel die Realität reproduzieren, nichts Neues gebe, auch nicht im ältesten Gewerbe der Welt, wie man so sagt, wenn man von der Sucht spricht, sich zu erleichtern, indem man eine Eroberung nachspielt. Du warst überzeugt, daß die menschliche Natur sich genauso weiterentwickelt wie der Rest, du dachtest, dank der Pornoseiten im Internet, wo es alles und noch mehr gibt, wo unerhörte Dinge zu jedem Zeitpunkt jedem auf der ganzen Welt zur Verfü-
gung stehen, sei niemand mehr auf die blassen und unbeständigen Bilder des eigenen Geistes angewiesen, um sich einen von der Palme zu wedeln, das Web habe die Phantasie außer Kraft gesetzt.
Du wolltest dein Buch möglichst bald herausbringen, um als junger Autor bekannt zu werden, denn wenn man in diese Kategorie fallen wolle, meintest du, müsse man vor dem achtundzwanzigsten Lebensjahr etwas veröffentlicht haben.
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