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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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anderer zu tragen haben. Von diesem Abend an ging es stetig bergab mit uns, wir hatten beide verstanden, daß dein Rückzug auf deinen Schwanz viel über unsere Zukunft verriet; es war vielleicht deine Art, dich zurückzunehmen, um dich einer anderen hingeben zu können.
    Du fandest es antiquiert, daß ich dir böse war wegen deiner Manie. Mein Großvater habe zu großen Einfluß auf mich gehabt, meintest du, ich hätte ihm zuviel Gehör geschenkt und die Lebensweisheiten seiner Generation übernommen. Daß er Bauer war, sagte sowieso schon alles. Bauer zu sein bedeutete deiner Ansicht nach, auf Abstand zu gehen von den Menschen und die unberührte, rohe Materie zu idealisieren, der Technik zu mißtrauen und Angst vor dem Einschalten des Fernsehapparats zu haben, nicht zu verstehen, daß Bilder geil machen, aber niemanden töten, weil ihre Wirkung auf die Intimität der Wohnung beschränkt ist. Über den Köpfen der Bauern auf ihren Weizenfeldern schwebe tagaus, tagein der liebe Gott, den sie auch allein dafür verantwortlich machten, wenn der Weizen nicht sprieße, womit sie sich unnöti-gerweise seinem Zorn aussetzten und die ersten seien, die er treffe. Uns Stadtbewohnern dagegen böten die Wolkenkratzer wie ein Schutzschild Sicherheit vor der Strafe.
    Wir lebten im Zeitalter der Pornographie und müßten das akzeptieren wie die großen Klimaveränderungen, fandest du, deshalb sollten wir uns von dem letzten Gestammel des Papstes verabschieden und den Teufel aus der Welt werfen. Pornographie gehöre mittlerweile zum Alltag, sie werde sogar von Ärzten verordnet. Au-
    ßerdem sei die beziehungsstärkende Wirkung von Sex wohlbekannt. Heutzutage, antwortete ich, werde Sex nicht mehr zu zweit betrieben. Angesichts der Reize der Girls Nextdoor, die deinen Computer bevölkerten, hatte ich immer den Eindruck, bei einer Nummer zu stören und daß es deshalb am besten wäre, auf Zehenspitzen hinaus-zugehen, dabei fällt mir ein, daß ich gegen Ende unserer Geschichte aus Angst, mich überflüssig zu fühlen, abends oft deine Wohnung verlassen habe. Anfangs hast du ein paarmal versucht, mich zurückzuhalten, weil du glaubtest, ich wollte zu einem Geliebten, du hieltest es für eine Flucht, ohne daß du dir eines Fehlers bewußt gewesen wärst, später hast du mich wortlos gehen lassen, weil du verstanden hattest, daß es ein Geschenk war.

E ine Zeitlang hast du versucht, die Dinge geradezubie-gen und mich in den Cyberporno einzuführen. Vor deinem Bildschirm, hast du mir versichert, sei auch Platz für zwei. Meine Manie, an den Alltag der Mädchen zu denken, war dir fremd, für dich existierten die Bilder nicht wirklich, sie hatten nicht die Dichte des Lebens. In dieser Phase fing ich an, richtig panisch zu werden, ich hätte alles getan, um dir zu gefallen, ich wäre sogar zum Freier geworden, und Kollaboration schien mir die einzige Möglichkeit, bei dir zu landen, bis ich begriff, daß es dazu nicht kommen würde, jedenfalls nicht richtig, ich hatte viel zu viel Angst, und die Angst hielt mich davon ab, irgend etwas zu tun, dazu ist die Angst nämlich da, um Menschen an verbrecherischem Tun zu hindern. Zu der Zeit habe ich auch begriffen, daß mich meine Freier bis in unsere Beziehung verfolgten und daß ich eine betrogene Frau war, weil ich mit dir zusammen in der schlechteren der beiden Welten lebte. Manchmal vermiß-
    te ich die Prostitution. Ich habe mich sogar gefragt, ob ich mich mit meinen Freiern über dich hinwegtrösten könnte, und wenn ich mich tatsächlich prostituiert hätte, wäre das aus Gründen geschehen, die ich nicht hätte verstehen können, bevor ich dich kannte.
    Eine ganze Woche lang habe ich deine Einführung mit-gemacht, ich habe die Bewegungen verfolgt, die dich in deiner Cyberwelt stets an den gewünschten Ort führten, du warst geschickt und sehr schnell, ein Meister der Tastatur, die Bilder auf deinem Bildschirm folgten dem leisesten Druck deiner Finger, es war die reinste Ta-schenspielerei. Du warst ein echter Computerfreak, und all deine Freunde erkannten das an: Mit deinem Talent würdest du es noch weit bringen in deinem Leben.
    Ich habe mich in dieser Woche oft gefragt, ob sich in der Masse der Surfer, die sich mit uns im Web drängel-ten, auch Familienmitglieder befanden, Verwandte wie dein Vater zum Beispiel oder sogar deine Mutter. Du hast mir einmal gestanden, daß deine Mutter alles über dich weiß, daß zwischen euch keine Tabus bestehen und du ihr nie etwas verheimlicht hast.

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