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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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endgültig räumte. Ich wollte vor meinem Tod den Huren-groll loswerden, ich wollte mein Leben durch meine Rachsucht nicht unnötig verlängern, denn der Wunsch, die andern bezahlen zu lassen, und die Suche nach Gründen, wofür sie bezahlen sollen, kann einen lange am Leben erhalten. Mein Großvater, der der ganzen Welt zürnte und ihr tagtäglich den Untergang prophezeite, ist voriges Jahr im Alter von hundertein Jahren gestorben, kein schöner Gedanke, daß er womöglich nur deshalb so alt geworden ist, weil er unbedingt das Ende der Welt mitkriegen wollte. Sicher hat er im Angesicht des Todes einen Moment lang an sich gezweifelt und sich sein leeres Leben vorgehalten, als er erkannte, daß er gehen mußte, bevor der Zorn Gottes, den er mit all seinen Kräften anrief, über die Menschheit hereinbrach.

    Das mit dem Wichsen vorm Computer hat nicht funktioniert. Es war wohl ein Fehler, es mit deinen Pornoseiten zu probieren, der Anblick meines Geschlechts an anderen löste bei mir eine Panik aus, ich wurde dadurch zum Vergleich verleitet und so auf meinen Platz verwiesen.
    Ich habe mir sogar eingebildet, das weltumspannende Böse, das alle Internetsurfer miteinander verbindet, treibe hinter dem Bildschirm mit mir seinen Spott, es wußte bestimmt, daß deine Mädchen mich aus deinen Gedanken und sogar aus meinen eigenen Phantasien verdrängen würden. Ich mußte mich also, um zum Höhepunkt zu gelangen, in einen Mann hineinversetzen, und dazu brauchte ich Frauen, die älter waren als ich, so zwischen fünfunddreißig und vierzig mindestens. Heute weiß ich, daß wir in dieser Hinsicht einen unterschiedlichen Geschmack hatten. Dabei wollte ich doch nur Frieden finden im Gefühl einer angemessenen Sättigung, ich meine den Moment nach der Entladung, wenn der Krieger seine wohlverdiente Erholung genießt. Oberstes Ziel all dieser Mühen, hast du mir einmal gesagt, sei die Entspannung, Wichsen war für dich nichts anderes als Körperpflege, man scheidet aus, womit man sich infiziert hat, man kratzt sich, weil es juckt, man befreit den Geist für die anstehende Arbeit, außerdem war Wichsen ein Teil deiner Arbeit. Ich verließ deine Mädchen nach jedem Besuch trauriger und empörter denn je, sie brachten mich aus der Fassung, denn jedesmal, wenn es bei mir nicht klappte, schien mir, warst du der Gewinner.
    Ich habe wohl nie aufgehört, eine Hure zu sein. In Modemagazinen kann man lesen, daß der Beruf der Hure alle Hürden zum Verständnis der Männer überwinde und Huren daher viel mehr über sie wüßten als andere Frauen, was sie zu starken Frauen mache, die den Inszenierungen des Verrats gelassen gegenüberstehen. Bei mir ist es genau umgekehrt, ich war nie so weit von den Männern entfernt wie als Hure, wenn man auf den Strich geht, muß man sich vor dem Verständnis hüten, das ist eine Frage des Überlebens.
    Nach einiger Zeit hörte ich mit dem Wichsen auf, besuchte aber weiterhin regelmäßig deine Seiten, um nichts von dem zu verpassen, was du dort sahst, als Spionin sozusagen. Ich gab dir nachträglich Recht, daß deine Lieblinge, die Girls Nextdoor mit deinem besonderen Schätzchen Jasmine, tatsächlich wie Mädchen von nebenan aussahen, so wie die Huren der Escort-Agenturen an Mädchen aus gutem Haus erinnern. Die Girls Nextdoor wirkten so zugänglich und unkompliziert wie Nachbarinnen, man konnte sich vorstellen, daß sie wirklich zum Vergnügen fickten und in echt, und man konnte ihnen sogar die Inszenierung abnehmen, wie es dazu kommt, daß sie den ersten besten, der vorbeikommt, lutschen. Ich habe darüber auch eine Kolumne für deine Zeitung, Le Journal, geschrieben und frage mich, ob du sie gelesen hast.
    Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn die Girls Nextdoor zu dir kommen, an deine Tür klopfen und dich um Asyl bitten, Zuflucht suchend unter den Fittichen deiner eins neunzig Größe, und sich an deinem gerührten Blick wärmen, während sie dir erzählen, daß sie den Schlüssel-dienst anrufen müssen, weil sie nicht nach Hause können, und dabei ganz vergessen, daß sie unter ihrem Badehand-tuch nackt sind.
    Zu deiner Verteidigung hast du auf meine Eifersucht geantwortet, daß ich viel Schlimmeres gemacht habe, ja, das Schlimmste überhaupt. Du hast nie begriffen, daß die Untiefen, auf die ich stieß, mich nicht unbedingt aufge-schlossener machten für die Lebensart meiner Generation. Huren, meintest du, sollten lieber keine Predigten halten. Anscheinend hattest du noch nie etwas vom Pendelprinzip

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