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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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danach nicht mehr mich in deinen Augen sehen könnte, sondern nur noch an die Mösen der anderen glauben würde. An dem Abend, als du mich verlassen hast, hast du zu mir gesagt, daß im Kreis deiner Freundinnen und Ex-Freundinnen sich nie eine über diese Angewohnheit beklagt habe und ich von allen, die du kanntest, die einzige sei, die sich darüber empörte. Daraufhin habe ich dich gefragt, ob irgendeine von denen fünf Jahre auf dem Strich war, und du hast mir keine Antwort gegeben, weil ich manchmal, wie du fandest, ziemlich gewagte Zusammenhänge herstellte, um meiner Ansicht Geltung zu verschaffen.
    Ich wüßte gern, ob du die letzten Fotos von Jasmine kennst, gestern erst sind neue erschienen, auf denen sie keine Perücke mehr trägt und genauso alt aussieht, wie sie ist. Immer wenn ich sie sehe, muß ich an uns denken, an meine Unbeholfenheit angesichts ihrer digitalen Schärfe und daran, was in den Köpfen schwanzwedelnder Hunde vorgeht. Seit ein paar Wochen schaue ich nicht mehr in den Spiegel, ich weiß nicht, ob ich gealtert bin.

    *

    Als du mich verlassen hattest, machte ich mich auf die Suche nach dir und stieß dabei einige Türen auf. Als erstes besuchte ich das Cinema L’Amour, Ecke Boulevard Saint’Laurent und Rue Duluth. Freddy hatte mir einmal von diesem kleinen Kinosaal erzählt, wo Männer sich an echten Pärchen begeilten, die auf einer kleinen, rot erleuchteten Bühne richtig fickten. Er selbst sei ein paarmal dort gewesen, aus Neugier, wie er mir gestand.
    Nach acht Jahren Ehe ohne Seitensprung sei er sich so unerfahren vorgekommen, und diese Naivität habe ihn bedrückt, er habe sich dank langjähriger Treue schon wie ein alter Hagestolz gefühlt. Ich ging ein paar Wochen lang hin, bis ich merkte, daß ich schwanger war, und empfand es im Vergleich zu deinem Computer als Fort-schritt, immerhin war es ein erster Schritt der Annähe-rung an die anderen. Ich hatte auf etwas menschliche Wärme gehofft, aber vergessen, dass diese Art Wärme nur aus der Distanz vollkommener Anonymität strömt.
    Und dann wollte ich wohl, daß die Falle über mir zu-schnappt. Zu diesem Zeitpunkt war meine Entscheidung gefallen, ich weigerte mich wieder einmal, aus dem Loch zu kommen, wie in der Vergangenheit, ich weigerte mich wieder einmal, mir eine zweite Chance zu geben…
    Todgeweihte haben das Recht, sich gehen zu lassen, ich hatte das Recht zu sterben, wo es mir beliebte. Als ich das Freddy sagte, warnte er mich vor dem Cinema L’Amour, dort lungerten nur Greise herum, die nichts anderes im Sinn hätten, als neugierige kleine Mädchen wie mich zu bespringen, er wollte wohl allen Eventualitä-
    ten vorbeugen, wenn man an so einem Ort vergewaltigt wird, ist eine Strafverfolgung anscheinend von vornher-ein zwecklos, und in den gerichtlichen Verfahren nimmt die öffentliche Meinung das Opfer nicht in Schutz. Dazu muß man sagen, daß Freddy Sex nach rechtlichen Maß-
    stäben betrachtete, er hat auch auf einem Standesamt vor dem Friedensrichter geheiratet. Ich sagte zu ihm, ich sei an Greise gewöhnt, und daß ich manchmal sogar ihren Atem vermisse auf der potentiellen Möse, die ich für sie sei, an ihnen wolle ich meine blonde Weiblichkeit testen, ob ich nicht, seit ich keine Hure mehr war, die elementar-sten Dinge verlernt und das magnetische Feld verlassen hätte, in dem sich große Verführer mit Femmes fatales treffen. Vielleicht verströmte ich, nachdem ich so oft berührt, abgeschleckt und von allen Seiten genommen worden war, nur noch den Geruch verbrannter Erde.
    Freddy, der schon immer ein Kavalier war, hatte sich als mein Begleiter angeboten, aber an Ort und Stelle kamen wir schnell überein, daß die Anwesenheit des anderen ein Hindernis beim Wichsen wäre. Wir trennten uns also am Eingang und verabredeten uns eine Stunde später am Hinterausgang in einer kleinen Gasse, wo die Mülleimer der benachbarten Geschäfte herumstanden, die Gassen gehören den Schuldigen, die Gassen bilden ein Paralleluniversum, das der helle Tag nicht erreicht, die Gassen sind die Unterwelt meines Großvaters. Niemand verläßt das Cinema L’Amour durch den Eingang am Boulevard Saint-Laurent, weil niemand vor den Passan-ten sein Gesicht verlieren will. Frauen zahlen hier keinen Eintritt wie überall, wo öffentlich gefickt wird. Es ist allgemein erwiesen, daß die pure Anwesenheit von Frauen sich gewinnbringend auf die Geschäfte der Männer auswirkt, sie ziehen Männer an und brauchen selbst nicht viel. Sie wollen

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