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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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Ihr habt euch auch gegen deinen Vater verbündet, als er versuchte, die Regeln am Tisch zu bestimmen. Du hast ihr sogar erzählt, daß du dir kostenlos Pornos aneignest, indem du den Paßwortschutz umgehst und sie anschließend hinter eigenen Paßwörtern versteckst. Deine Vorliebe für Pornos, hast du ihr weis-zumachen versucht, sei im Grunde nichts anderes als die Lust an der Piraterie, es sei ein fesselndes Spiel, die Festungswälle kostenpflichtiger Seiten zu knacken und Frauen zu rauben, die man anschließend dem eigenen Bestand einverleibt. Deine Mutter hat dir nie etwas vorgeworfen, nicht einmal, daß du vor deinen Großeltern Haschisch geraucht hast, und wenn ich sagte, deine Mutter sei keine richtige Mutter, war es dir nicht recht.
    Ich dachte in dieser Woche auch an die Ehepaare, die keine Lust mehr aufeinander hatten und es sich zu Hause gemütlich machten, um Trost im Web zu suchen. Nie habe ich vor dem Bildschirm an uns beide gedacht. Ich dachte, daß mein Computer für diese Tätigkeit wahrscheinlich besser geeignet wäre als deiner, weil sich die Fotos auf meinem Bildschirm langsam und abgehackt von oben nach unten aufbauten und damit einen Striptea-se-Effekt hervorrufen könnten, während dein Highspeed-System einem die Bilder so schnell ins Gesicht spuckte, daß man erst einmal zurückwich. Bei mir dauerte es immer ein paar Sekunden, den Bildschirm zu entziffern und die Puzzleteile zu einem Bild zusammenzufügen. Oft nahmen einzelne Bildausschnitte schon ihren Platz ein, ohne daß man sie den Körpern nackter Mädchen zuord-nen konnte, und um die fehlenden Personen zu rekonstru-ieren, mußte man schon die Phantasie benutzen.

    So saßen wir nebeneinander und sahen viele Fotos.
    Während der Einführungswoche hatte ich Probleme mit meinem Spiegelbild, es schockierte mich, daß ich bei näherem Hinsehen im Vergleich zu Jasmine bereits im fortgeschrittenen Alter war, mit den ersten Fältchen und ein paar grauen Haaren. Ich hätte dich damals fast verlassen, aber es war Winteranfang, die Zeit der Feste rückte näher, und da ich schon an der Schwelle zu meinem Todesjahr stand, lohnte es ohnehin nicht mehr, etwas zu unternehmen. Jasmine ist mir vor allen anderen im Ge-dächtnis geblieben, Jasmine, das Mädchen von nebenan, das du wie eine kleine Schwester liebtest, vielleicht weil sie auf einer Website mit dem Namen Little Sisters auftrat. Sie trug eine braune Langhaarperücke, die ihren siebzehn Jahren etwas Doppeldeutiges verlieh, sie machte sie älter und lenkte die Aufmerksamkeit damit nur um so mehr auf ihre Jugend. Sie hatte etwas Rührendes, fanden wir beide, und wenn sie nicht Model gewesen wäre, hätte sie vielleicht Streichhölzer verkauft oder sich als Aschenputtel ihrer Lumpen geschämt. Um sie herum war es düster, im Hintergrund Backstein, so daß das Ganze die kühle, feuchte Atmosphäre eines Kerkers hatte. Es gab hunderte Fotos von ihr, angezogen, kokett in Unterwäsche oder völlig nackt. Ich biß mir oft auf die Zunge, wenn ich diese Bilder betrachtete, nur um etwas anderes zu spüren als Niedergeschlagenheit; wärst du ein Freier gewesen, hätte ich dich dafür bezahlen lassen. Die meisten Fotos waren mißlungen und ähnelten einander, ich stellte mir vor, daß der Ständer des Fotografen in seiner Panik Jasmine aus dem Bild gedrängt hatte oder daß der Fotograf nur verlogene Kunst machen sollte, die die Wirklichkeit verbarg, statt sie zu zeigen. Man müsse die Reihenfolge der Fotos im Layout beachten, hast du mir erklärt, nur so könne man die Stadien der Entkleidung im einzelnen nachvollziehen; wenn man die Bilder nachein-ander von rechts nach links durchlaufen lasse, erschaffe man die Wirklichkeit neu. In diesem Bereich waren nicht Komposition oder Schönheit der Bilder entscheidend, sondern das Gefühl der Nähe, so als hätte man die Fotos selbst gemacht, letztlich sollten sie den Eindruck von Familienfotos erwecken.
    Auf den Fotos war Jasmines Gesicht zu sehen, das gefiel mir nicht. In diesem Bereich, fand ich, waren Gesichter überflüssig und störend; die Begegnung mit einem Blick, und sei es auch nur auf dem Foto, gab mir das Gefühl, selbst gesehen zu werden, und verhinderte so jeden Anflug von Lust. Bei dir war es umgekehrt, du brauchtest Gesichter aus Gründen der Identifikation, wenn ich auch nicht genau wußte, was das heißen sollte; ich habe mir gedacht, du möchtest die Mädchen identifizieren können, falls du sie auf der Straße triffst oder, noch besser, als

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